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EuGH: Erneute Abgasskandal-Rückrufe drohen

Der Generalanwalt am EuGH sieht Thermofenster weiter kritisch. DUH kann wohl weitere Rückrufe im Abgasskandal erzwingen.

vw-eugh
VW: Voraussichtlich empfindliche Niederlage vor dem EuGH
3. März 2022

Ein Urteil wird zwar erst im Sommer erwartet, aber der Schlussantrag des Generalanwalts am Europäischen Gerichtshof (EuGH) sieht schon jetzt nicht gut aus für Volkswagen und andere Hersteller. Folgen die Richter am EuGH den Argumenten des Generalanwalts und geben der Deutschen Umwelthilfe (DUH) Recht, muss das Kraftfahrtbundesamt (KBA) wohl Millionen Diesel zurückrufen – viele davon zum wiederholten Male.

Um was geht es?

Nach Bekanntwerden des VW-Abgasskandals hatte das KBA angeordnet, dass VW die illegalen Abschalteinrichtungen entfernen muss, was VW durch ein Softwareupdate umgesetzt hat. Dabei akzeptierte das KBA den Einsatz von sogenannten Thermofenstern nach dem Rückruf. Das bedeutet, dass die Abgasreinigung bei den Fahrzeugen nur in bestimmten Temperaturbereichen (voll) funktioniert. Die DUH hat deshalb vor dem Verwaltungsgericht Schleswig Klage eingereicht und verlangt, dass auch die Thermofenster durch einen Rückruf entfernt werden. Da es dabei um Europarecht geht, hat das Verwaltungsgericht zwei zentrale Fragen an den EuGH weitergegeben.

Die DUH fordert übrigens für verschiedene Modelle und Hersteller, dass noch bestehende Abschalteinrichtungen entfernt werden. Darunter sind auch solche, für die es bisher noch gar keinen Rückruf gab.

Was sagt der Generalanwalt am EuGH?

Zum einen geht der Generalanwalt davon aus, dass die DUH berechtigt ist, gegen Bescheide des KBA zu klagen, um dadurch die Einhaltung von Umweltschutzstandards der EU durchzusetzen. Ohne diese Feststellung würde der Prozess direkt platzen.

Zum anderen sieht der Generalanwalt den Einsatz von Thermofenstern sehr kritisch. Aus seiner Sicht muss ein Motor die Abgasgrenzwerte nicht nur bei den auf dem Prüfstand geltenden Bedingungen einhalten, sondern immer – abgesehen von den durch die entsprechende EU-Verordnung vorgesehenen Ausnahmen. Zu diesen Ausnahmen zählt zwar auch der Motorschutz, nach Ansicht des Generalanwalts gilt das aber nur für den Schutz vor unmittelbaren Schäden und nicht für den Schutz vor Verschleiß und Verschmutzung. Vereinfacht gesagt: Ist eine wirksame Abgasreinigung im Normalbetrieb nicht ohne Motorschäden möglich, dann ist der Motor eben eine Fehlkonstruktion. Bei der Begründung der Notwendigkeit einer Abschalteinrichtung kann sich der Hersteller weder auf hohe Entwicklungs- und Herstellungskosten noch auf aufwändige Wartung als Ausrede berufen.

Welche Folgen hat das EuGH-Verfahren?

Der Schlussantrag hat zunächst keine direkten Folgen, da der EuGH dem Antrag in seinem Urteil folgen kann oder nicht. Sehr häufig tun die Richter das aber. Das Urteil wird im Sommer erwartet. Wenn die Richter dem Schlussantrag folgen, wird das Verwaltungsgericht in diesem und anderen ähnlichen Verfahren nicht mehr viel Entscheidungsspielraum bleiben und auch das KBA wird in der Folge weitgehend der Ansicht der DUH folgen müssen. Das bedeutet:

Es wird noch mehr Rückrufe geben. Betroffen sind davon voraussichtlich nicht nur (erneut) die vom ursprünglichen Abgasskandal betroffenen Modelle mit EA 189-Motor, sondern auch neuere Modelle aus dem VW-Konzern (z.B. mit EA 288-Motor) sowie andere bereits einschlägig bekannte Hersteller wie Mercedes. Da es ein EuGH-Verfahren ist, werden auch Hersteller aus dem europäischen Ausland davon indirekt betroffen sein, beispielsweise Fiat. Selbst Hersteller, die im Abgasskandal bisher wenig aufgefallen sind, könnten bald zu Rückrufen gezwungen werden, beispielsweise Peugeot, Renault, Citroen, Volvo oder Mitsubishi.

Die Rückrufe werden aufwändiger und folgenschwerer. Die Autohersteller sind sich bisher weitgehend einig darin, dass der Einsatz von Thermofenstern für den Motorschutz nötig ist. Das bedeutet, dass bei einem Rückruf nicht mehr nur durch ein Software-Update die Thermofenster deaktiviert werden können. Um die Grenzwerte einzuhalten, müssen voraussichtlich umfangreiche Umbauten vorgenommen werden, beispielsweise die Nachrüstung mit SCR-Katalysatoren. Alternativ könnten die Hersteller natürlich auch eine billige Software-Lösung wählen und die Kunden mit den Folgeschäden (z.B. defekte AGR-Ventile) alleine lassen.

Die gute Nachricht dabei ist: In vielen Fällen haben die Hersteller so dreist bei den Abgaswerten betrogen, dass es als „sittenwidrige Schädigung“ gilt. Dafür können die Kunden eine Rückabwicklung des Kaufs verlangen oder das Auto behalten und Schadensersatz fordern. Und nach einem aktuellen BGH-Urteil sind die meisten Fälle bisher im Abgasskandal nicht verjährt.

Quellen: Schlussantrag des EuGH-Generalanwalts, Beschluss des Verwaltungsgerichts Schleswig.

Autor

Robert hat als Diplomkaufmann und Wirtschaftsingenieur nicht nur die besten Voraussetzungen dafür, den reibungslosen Ablauf der Webseite sicherzustellen, sondern auch den perfekten Background, um vor allem komplexe Wirtschafts-Themen nutzerfreundlich und nachvollziehbar aufzubereiten. Seine Schwerpunkte liegen in den Bereichen Abgasskandal, Geldanlage, Kreditrecht, Flugrecht und Versicherung. Nach seinem Ausscheiden bei RECHTECHECK wechselte Robert zur Nürnberger Werbeagentur BESONDERS SEIN.

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