Der Bundesgerichtshof (BGH) hat am 21.07.2021 in mehreren Verfahren (Az.: VIII ZR 254/20, VIII ZR 118/20, VIII ZR 275/19 und VIII ZR 357/20) über die Grenzen der Gewährleistung im Diesel-Abgasskandal entschieden. Die obersten deutschen Zivilrichter legten in ihrem Urteil fest:
Die Lieferung eines Fahrzeugs mit einer illegalen Abschalteinrichtung stellt einen Sachmangel dar. Während der Gewährleistungsfrist kann der Kunde vom Händler die Beseitigung dieses Mangels erwarten. Gibt es inzwischen ein sauberes Nachfolgemodell, darf der Kunde auch die Nacherfüllung fordern. In diesem Fall bekommt der Käufer ein fabrikneues Nachfolgemodell – und das meist ohne Aufpreis oder eine Nutzungsentschädigung. Dieser Anspruch besteht aber nur 2 Jahre lang ab dem Kauf des betroffenen Fahrzeugs. Danach kann man nur noch Schadensersatz vom Hersteller verlangen.
Das BGH-Urteil bezog sich auf Modelle mit dem alten Skandal-Motor EA 189 von Volkswagen. Allerdings dürfte es vor allem für Besitzer von neueren Fahrzeugen interessant sein, die vom Abgasskandal betroffen sind. Insbesondere die Kunden mit Fiat-Modellen und von darauf aufbauenden Wohnmobilen könnten davon profitieren. Fiat hat noch bis ins Jahr 2019 Fahrzeuge hergestellt, die nach 22 Minuten die Abgasreinigung herunterfahren. Auch bei anderen Herstellern werden immer wieder neue Abschalteinrichtungen entdeckt, teilweise bei Modellen aus der laufenden Produktion. Diesel-Besitzer sollten sich daher regelmäßig darüber informieren, ob ihr Fahrzeug inzwischen vom Abgasskandal betroffen ist.
Einschränkend ist anzumerken, dass sich das Urteil jeweils auf Fahrzeuge bezog, für die es zum Zeitpunkt der Klage noch kein Software-Update gab. Ob die Nachlieferung eines Neuwagens auch verlangt werden kann, wenn es eine Nachrüstung gibt, ist damit noch nicht geklärt. Warum die Richter ausgerechnet auf einen Zeitraum von zwei Jahren ab Vertragsschuss abzielen, geht aus der Pressemitteilung nicht hervor. Normalerweise beginnt die Gewährleistung mit der Übergabe.
Update: In einem anderen Verfahren zu Gewährleistungsansprüchen hat der BGH seine Rechtsprechung weiter präzisiert. Gibt es schon ein Software-Update, kann der Kunde nicht mehr automatisch eine Rückabwicklung (oder Nachlieferung) fordern. Er muss stattdessen durch ein Gutachten belegen, dass das Update unzumutbar ist. Das gilt zumindest in den Fällen, in denen das Fahrzeug nicht direkt vom Hersteller gekauft wurde, sondern z.B. bei einem unabhängigen Händler. Hat man dagegen in einer Niederlassung des Herstellers gekauft, besteht der Kaufvertrag direkt mit demjenigen, der den Mangel arglistig verschwiegen hat. Dann ist das Update keine zumutbare Option.
Update 2: In einem Urteil vom 8.12.2021 (VIII ZR 190/19) hat der BGH festgelegt, dass der Händler bei einer Klage auf Nacherfüllung nicht einfach auf das Software-Update verweisen kann. Er muss stattdessen beweisen, dass das Update den Mangel „vollständig, nachhaltig und fachgerecht beseitigt“ und keine neuen Nachteile bringt. Ist das Nachfolgemodell viel werthaltiger als der Vorgänger, kann der Händler eine Beteiligung an den Mehrkosten verlangen. Diese ist aber begrenzt auf ein Drittel (in Ausnahmen: die Hälfte) der Mehrkosten. Außerdem kommt eine solche Zuzahlung nur infrage, wenn die Listenpreise sich mindestens um ein Viertel unterscheiden.
Quellen:
Bundesgerichtshof: Pressemitteilung. URL: https://www.bundesgerichtshof.de/SharedDocs/Pressemitteilungen/DE/2021/2021140.html (21.7.2021).
Bundesgerichtshof: Pressemitteilung. URL: https://www.bundesgerichtshof.de/SharedDocs/Pressemitteilungen/DE/2021/2021199.html (2.11.2021).
Bundesgerichtshof: Pressemitteilung. URL: https://www.bundesgerichtshof.de/SharedDocs/Pressemitteilungen/DE/2021/2021223.html (8.12.2021).