Versicherungsunternehmen wegen Niedrigzinsen unter Druck, Widerruf oft vorteilhaft für Verbraucher
Das inzwischen lang andauernde niedrige Zinsniveau macht Versicherungen zu schaffen. Insbesondere fällt es immer schwerer, überhaupt den Garantiezins zu erwirtschaften. Bei den ersten Unternehmen liegt – nach einer Analyse der Ratingagentur Assekurata – die Rendite der Geldanlagen inzwischen unter den durchschnittlichen Zinsgarantien. Manchen Anbieter geben das Geschäft inzwischen auf und verkaufen ihre Lebensversicherungs-Sparten an Abwickler.
Dies bedeutet für Versicherungsnehmer nicht nur Gefahren, sondern auch deutlich geringere Wertzuwächse. Eine Kündigung der Lebensversicherung stellt aufgrund geringer Rückkaufswerte oft keine Lösung dar. Ein Widerruf des Versicherungsvertrags kann dagegen für viele Versicherungsnehmer der beste Ausweg sein. Ob das im Einzelfall möglich ist, sollte von einem Spezialisten geklärt werden.
Warum man den Widerruf einer Lebens- oder Rentenversicherung überlegen sollte
Aufgrund der lang andauernden Niedrigzinsphase fällt es den Versicherungsunternehmen zunehmend schwer, den Garantiezins zu erwirtschaften und gleichzeitig die eigenen Kosten zu decken. Da kurzfristig nicht mit erheblichen Zinsanhebungen zu rechnen ist, werden nicht nur die Renditen fallen. Auch die wirtschaftlichen Schwierigkeiten vieler Versicherungen 2017 könnten sich weiter verschärfen.
Dies kann im Fall eines Insolvenzrisikos zur Folge haben, dass die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) den betroffenen Versicherungen alle Arten von Zahlungen zeitweilig verbietet, insbesondere Versicherungsleistungen, Gewinnverteilungen und bei Kapitallebensversicherungen den Rückkauf oder die Beleihung des Versicherungsscheins. Außerdem wäre die BaFin berechtigt, die Versicherung anzuweisen, Auszahlungen auf Versicherungsverträge herabzusetzen.
Eine drohende Zahlungsunfähigkeit einer Versicherung könnte also – zumindest zeitweilig – durch geringere Zahlungen an die Versicherungsnehmer und die Einschränkung ihrer Rechte abgewendet werden. Die Pflicht der Versicherungsnehmer zur Zahlung ihrer Beiträge wäre dagegen durch die Herabsetzung nicht berührt.
Noch schlimmer könnte es im Extremfall die Kunden von britischen Lebensversicherungen treffen: Wenn sich die (Rest-)EU und das vereinigte Königreich bei den Brexit-Verhandlungen nicht einig werden, dann haben britische Lebensversicherungen keinen Zugang mehr zum europäischen Finanzmarkt. Sie könnten dann auch ihre Versicherungsleistungen nicht mehr ohne Weiteres in der EU auszahlen.
Wer diese Risiken vermeiden will, sollte den Widerruf seiner Versicherung prüfen lassen, die wirtschaftlich einer Kündigung in vielen Fällen vorzuziehen ist.
Vorliegende Urteile zum Widerruf von Lebensversicherungen
Mit Urteil vom 7. Mai 2014 (Az. IV ZR 76/11) hat der Bundesgerichtshof gemäß den Vorgaben des Europäischen Gerichtshofes (EUGH) entschieden, dass eine Lebensversicherung ohne ordnungsgemäße Widerrufserklärung auch heute noch wirksam widerrufen werden kann. Dies gilt für jeden Verbraucher, der zwischen 1994 und 2007 eine Lebensversicherung abgeschlossen hat und der dabei nicht gesetzeskonform über sein Widerrufsrecht belehrt wurde. Nach Übermittlung der Widerrufserklärung hat der Versicherungskunde Anspruch auf Rückerstattung sämtlicher gezahlter Beiträge durch die Versicherungsgesellschaft.
Zudem steht dem Versicherungskunden für die Überlassung der Beiträge eine Entschädigung gegen die Versicherung zu. Konkret bezieht sich der EuGH auf eine unwirksame Regelung im – vom 1. Januar 1995 bis 31. Dezember 2007 gültigen – § 5a Versicherungsvertragsgesetz (VVG). Da eine Vielzahl der Versicherer diese unwirksame Regelung in ihre Vertragsunterlagen übernommen hatte, können die betroffenen Verträge mangels ordnungsgemäßer Widerrufsbelehrungen noch heute widerrufen werden.
Die Richter dürfen grundsätzlich die „gezogenen Nutzungen“ (also den Zins, den die Lebensversicherung bei einem Widerruf erstatten muss) grundsätzlich schätzen. Allerdings müssen sie sich dabei an einige Grundsätze halten und dürfen nicht zu pauschal schätzen. (BGH-Urteil IV ZR 324/16 vom 13.11.2019)
Speziell bei der Allianz Lebensversicherung dürfte für Millionen Verträge ein Widerruf möglich sein. Das geht aus drei wegweisenden Urteilen des OLG Stuttgart von Dezember 2018 hervor. Hintergrund ist hier, dass die Allianz Lebensversicherung offenbar in den Vertragsunterlagen grundsätzlich die Rückkaufswerte falsch angegeben hat.
Folgen des Widerrufs für den Kunden und die Versicherungen
Die Lebensversicherungen müssen den Gesamtbetrag der Einzahlungen zurückerstatten. Dies erfolgt ohne Abzug von Kosten und Gebühren. Die Lebensversicherungen müssen diesen Betrag für die gesamte Laufzeit mit durchschnittlich fünf Prozent über dem jeweiligen für das Jahr geltenden Basiszinssatz verzinsen (durchschnittlich 6,5-7,5 Prozent Zinsen). Das ist in jedem Fall mehr als der Garantiezins und liegt i.d.R. auch deutlich über der zu erwartenden Gesamtrendite des Vertrags. Die Lebensversicherungen müssen „Schadensersatz“ für die „Nichtanlage des Geldes“, gemessen an den von ihnen erwirtschafteten Erträgen, in den jeweiligen Jahren bezahlen.
Die Lebensversicherungen dürfen hiervon einen Betrag abziehen in Höhe des Risikos, das für den jeweilig Versicherten getragen wurde, beispielsweise für einen Todesfallschutz oder eine eingeschlossene Berufsunfähigkeitsversicherung. Eine solche Risikokomponente behält die Versicherung aber auch bei einer Fortführung des Vertrags ein.
Bei einer fondsgebundenen Lebensversicherung waren sich die Gerichte über die Folgen des Widerrufs lange nicht einig. Nach einem Urteil des BGH muss der Versicherungsnehmer eventuelle Verluste selbst tragen – die Vertriebs- und Verwaltungskosten erhält er aber zusätzlich zurück (Az. IV ZR 353/16). Wer wissen will, welche Rückerstattung er durch einen Widerruf seiner Lebensversicherung bekommen kann, sollte sich an einen Spezialisten wenden.
Übrigens: Der Widerruf einer Lebensversicherung ist einer der wenigen Fälle, in denen man noch rechtzeitig eine Rechtsschutzversicherung abschließen kann, die den Fall dann bezahlt. Der Grund: Beim Widerruf einer Lebensversicherung tritt der Versicherungsfall erst mit der Ablehnung durch die Versicherungsgesellschaft ein – und das passiert erst, nachdem man die Lebensversicherung widerrufen hat. Auch der BGH (Az.: IV ZR 200/16) hat bestätigt, dass es nicht auf den Zeitpunkt des Vertragsschlusses ankommt. (In dem Fall ging es um den Widerruf eines Kredits.) Ein Vergleich von Rechtsschutzversicherungsanbietern ohne Wartezeit findet sich z.B. bei finanzen.de.*
Welche Formfehler ermöglichen den Widerrufsjoker?
Grundsätzlich gibt es sehr viele Fehler, die die Versicherung bei der Widerrufsbelehrung machen kann. Die folgende Liste der Formfehler ist daher nicht abschließend und in vielen Fällen kann nur ein spezialisierter Anwalt klären, ob die Lebensversicherung noch widerrufen werden kann. Klassische Fehler, die zum Widerruf berechtigen, sind u.a.:
- Es wurde gar keine Widerrufsbelehrung ausgehändigt.
- Die Widerrufsbelehrung war in den Vertragsunterlagen „versteckt“ statt besonders hervorgehoben (z.B. durch Rahmen, Fettschrift etc.).
- Die Fristen für den Widerruf waren falsch oder missverständlich angegeben.
- Es fehlt der Hinweis, dass der Widerruf in Schriftform bzw. in Textform (ab 1.8.2001) erfolgen muss.
- Der Hinweis, dass das rechtzeitige Absenden der Widerrufserklärung genügt, fehlt oder es wird sogar behauptet, dass der Widerruf innerhalb der Frist eingegangen sein muss.
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Robert hat als Diplomkaufmann und Wirtschaftsingenieur nicht nur die besten Voraussetzungen dafür, den reibungslosen Ablauf der Webseite sicherzustellen, sondern auch den perfekten Background, um vor allem komplexe Wirtschafts-Themen nutzerfreundlich und nachvollziehbar aufzubereiten. Seine Schwerpunkte liegen in den Bereichen Abgasskandal, Geldanlage, Kreditrecht, Flugrecht und Versicherung. Nach seinem Ausscheiden bei RECHTECHECK wechselte Robert zur Nürnberger Werbeagentur BESONDERS SEIN.