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EY und Wirecard: Sammelklage anschließen und Schadensersatz bekommen

Aschheim, Germany / Bavaria – August 8, 2020: Wirecard bankrupt fintech corporation fortune 500 high-tech German electronic online payment company with logo near Munich Germany.
19. Mai 2022

Zusammenfassung

  • Anleger können selbst klagen oder sich einer Wirecard-Sammelklage anschließen.
  • Wirecard-Anlegern steht Schadensersatz zu.
  • In den USA ist bereits mindestens eine Sammelklage gegen Wirecard eingereicht worden.

Wirecard: Sammelklage anschließen oder Einzelklage einreichen?

Es wird (mindestens) eine Wirecard „Sammelklage“ nach dem Kapitalanleger-Musterverfahrensgesetz (KapMuG) geben, nämlich gegen den Wirtschaftsprüfer EY. Das hat das Landgericht München I Mitte März 2022 beschlossen (Az. 3 OH 2767/22). Dabei werden die Verfahren von mindestens 10 Anlegern in einem Musterprozess gebündelt. Weitere Geschädigte können sich – mit Hilfe eines Anwalts – der Wirecard-Sammelklage durch eine Anmeldung zum Musterverfahren anschließen. Das Urteil im Musterverfahren hat zwar keine direkte Wirkung auf diese „Anmelder“, sie vermeiden aber die Verjährung ihres Schadensersatzes und können später mit hoher Rechtssicherheit Klage einreichen. Auch eine Sammelklage nach dem niederländischen „Stichting-Modell“ (also in Form einer Stiftung) wurde vorbereitet.

Die Bündelung von Anträgen erfolgt dabei zwangsweise. Das bedeutet, dass alle bereits laufenden, gleichartigen Verfahren gegen Wirecard ausgesetzt werden, bis ein Urteil im Musterverfahren gefallen ist. Danach werden die Verfahren wieder aufgenommen, können aber voraussichtlich schnell entschieden werden, da die wesentlichen Punkte ja bereits in der Sammelklage entschieden wurden.

Der wesentliche Nachteil einer reinen Anmeldung zur Sammelklage nach dem KapMuG ist, dass das Verfahren noch länger dauert. Zunächst vergehen Monate, bis die Verfahren überhaupt gebündelt sind. Nach dem anschließenden Verfahren müssen die Wirecard-Geschädigten dann auch noch selbst eine Klage gegen Wirecard, EY oder andere erheben, um ihre Ansprüche durchzusetzen. Dabei gilt im Wirecard-Skandal in doppelter Hinsicht: Zeit ist Geld. Durch eine Einzelklage – auch wenn sie „gebündelt“ wird – kann man nicht nur schneller eine Entschädigung bekommen, man hat auch ein geringeres Risiko, dass die Forderung wertlos wird, weil der Anspruchsgegner bis zum Urteil möglicherweise pleite geht – was bei der Wirecard AG selbst ja bereits eingetreten ist. Auch das Vermögen von EY oder Markus Braun ist nicht unendlich.

Außerdem gilt ein möglicher Vergleich im Wirecard-Musterverfahren direkt nur für die Kläger, deren Verfahren gebündelt wurden, nicht für die „Beigetretenen“. Darüber hinaus sollten sich Wirecard-Geschädigte auch beraten lassen, ob sie nicht ohnehin besser andere Anspruchsgegner als EY oder die Wirecard AG verklagen sollten. Auch gegen diese anderen Anspruchsgegner werden teilweise Sammelklagen vorbereitet.

Kann ich von Wirecard Schadensersatz bekommen?

Noch ist nicht abschließend geklärt, was genau bei der Wirecard AG passiert ist, wer die Schuld trägt und wer wann was wusste. Allerdings ist ziemlich offensichtlich, dass der Vorstand der Wirecard AG seinen Aufsichts- und Informationspflichten nicht nachgekommen ist und die Anleger bewusst betrogen hat. In diesem Fall wären sowohl Wirecard als auch einzelne Manager verpflichtet, den Anlegern von Wirecard Schadensersatz zu zahlen. Anwälte verschiedener Kanzleien bereiten in diesem Zusammenhang bereits Musterverfahren nach dem KapMuG vor. Anleger können sich daher bald Sammelklagen gegen Wirecard und EY anschließen.

Grundvoraussetzung für Schadensersatz von Wirecard ist, dass Sie mit den betroffenen Wertpapieren einen Verlust erlitten haben. Dabei ist es egal, ob Sie die Papiere bereits verkauft haben oder nicht. Eine Entschädigung kommt nicht nur für die Aktie der Wirecard AG infrage, sondern auf für andere Wertpapiere:

  • Die Wirecard-Aktie (WKN: 747206 / ISIN: DE0007472060)
  • Von Wirecard herausgegebene Anleihen (WKN: A2YNQ5 / ISIN: DE000A2YNQ58)
  • Diverse Derivate, die auf der Wirecard-Aktie basieren, z.B. Zertifikate, Optionsscheine, Termingeschäfte oder andere Hebelprodukte
  • Fonds: Sowohl aktiv gemanagte Fonds als auch Indexfonds bzw. ETFs haben zum Teil stark in Wirecard investiert. Insbesondere im TecDAX (und damit in TecDAX-ETF) war Wirecard ein Schwergewicht.

Wichtig ist, dass Sie Ihre Wirecard-Wertpapiere im Zeitraum vor Bekanntwerden des Wirecard-Skandals gekauft haben, also bis zum 18.6.2020.

Wie hoch fällt der Schadensersatz bei Wirecard aus?

Ist Ihnen z.B. durch falsche oder verspätete Informationen oder durch Falschberatung ein Schaden entstanden, muss der Verursacher diesen ersetzen. Dabei gibt es 2 Optionen: Einerseits können Sie die Aktien bzw. anderen Wertpapiere gegen Erstattung des ursprünglichen Kaufpreises abgeben. Andererseits kann die Entschädigung aus der Differenz zwischen dem Kaufpreis und einem fiktiven Preis, der sich bei korrekter und rechtzeitiger Information ergeben hätte, errechnet werden. Maßstab dafür ist beispielsweise der Kursverlust, der durch das Bekanntwerden des Wirecard-Skandals entstanden ist.

Gegen wen kann man im Wirecard-Skandal klagen?

Die Wirecard AG haftet insbesondere für das Handeln ihrer Vorstände. Daher ist der direkte Anspruchsgegner von geschädigten Wirecard-Anlegern die Gesellschaft selbst. Nachdem allerdings etwa ein Viertel der Bilanzsumme offenbar nicht existiert, ist die Wirecard AG selbst in eine Schieflage geraten. Inzwischen hat die Wirecard AG daher Insolvenz angemeldet. Außerdem haben auch andere Anleger eine Entschädigung von Wirecard gefordert. Die zur Insolvenz angemeldeten Ansprüche sollen sich auf mehr als 12 Mrd. € summieren, weit mehr als bei der Insolvenzmasse noch zu holen ist. Daher erläutern wir weitere mögliche Anspruchsgegner:

Für ihr Verhalten müssen die Vorstände grundsätzlich auch persönlich geradestehen. Die wichtigsten Akteure im Wirecard-Skandal scheinen bisher Markus Braun und Jan Marsalek zu sein. Braun ist der Gründer von Wirecard war bis zum Bekanntwerden des Skandals Vorstandsvorsitzender des Unternehmens. Kurz vor der Insolvenz hat er Wirecard-Aktien im Wert von über 100 Mio. € verkauft, außerdem war er Eigentümer teurer Immobilien und von Kunstgegenständen. Daher dürfte er über signifikantes Vermögen verfügen. Marsalek war im Vorstand zuletzt für das operative Geschäft zuständig – inklusive der betrügerischen Geschäftsfelder in Asien. Er ist nach Bekanntwerden des Skandals untergetaucht.

Neben dem Privatvermögen dürften die Vorstände auch über eine sogenannte D&O-Versicherung verfügen, das ist so etwas wie eine Haftpflichtversicherung für Manager.

Außerdem könnten auch Ansprüche gegenüber der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft EY (ehemals Ernst & Young) bestehen. EY prüfte die Bilanzen von Wirecard seit 2012 und hat erst dem Abschluss für 2019 das Testat verweigert. Rückblickend ist es aber wahrscheinlich, dass die Buchführung von Wirecard schon seit Jahren nicht in Ordnung war. Allerdings ist die Haftung von Wirtschaftsprüfern bei Fahrlässigkeit gedeckelt und gilt in der Regel nur gegenüber der Gesellschaft. Kann E&Y dagegen Vorsatz nachgewiesen werden, stehen die Chancen besser. Bisherige Prüfungen der Arbeit von EY (z.B. durch Martin Wambach von Rödl und Partner) stellten den Wirtschaftsprüfern jedenfalls verheerende Zeugnisse aus. Die ersten Urteile am Landgericht München wurden zwar zu Gunsten von EY entschieden, diese hat das OLG München aber inzwischen kassiert. Im März 2022 wurde eine Sammelklage gegen EY nach dem KapMuG zugelassen.

Wenn der Kauf der Wirecard-Wertpapiere nach dem Zatarra-Report 2016 oder zumindest nach der Veröffentlichung des KPMG-Gutachtens vom 27.4.2020 stattgefunden hat, kommt auch eine Beraterhaftung in Frage. Falls Sie die Wertpapiere über einen Berater, Vermittler oder ähnliches gekauft haben, hätte er Sie über die damals schon bekannten Unregelmäßigkeiten informieren müssen. Insbesondere dürften die Wertpapiere spätestens ab diesem Zeitpunkt nicht mehr für sicherheitsorientierte Anleger geeignet gewesen sein. Dabei ist es egal, ob der Berater Wirecard-Aktien, Wirecard-Anleihen oder Derivate wie Wirecard-Zertifikate empfohlen hat. Gerade die diversen Zertifikate wurden über die Vertriebskanäle der Banken und über Makler aktiv verkauft, sodass hier häufig eine Beraterhaftung infrage kommt. So verurteilte das Landgericht Chemnitz am 3.5.2022 die Erzgebirgsparkasse, wegen des zwischen März 2019 und Januar 2020 erfolgten Verkaufs von „Deep-Express“-Zertifikaten der LBBW Schadensersatz zu zahlen (Az. 6 O 598/21).

Einige Kanzleien bereiten auch schon Wirecard-Sammelklagen gegen Behörden vor. Die Anwälte werfen dem Staat vor, seiner Aufsichtspflicht nicht, nicht ausreichend oder nicht rechtzeitig nachgekommen zu sein. Im Fokus steht dabei v.a. die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin), die sich aber nur als Bankenaufsicht sieht. Problematisch für die BaFin ist, dass wohl einige ihrer eigenen Mitarbeiter auf fallende Wirecard-Kurse spekuliert haben. Außerdem hatte die BaFin als Aufsichtsbehörde für die Wirecard Bank AG ein sogenanntes Inhaberkontrollverfahren gegen die Wirecard AG geführt. Diese Routineprüfung nach einer Umstrukturierung wurde aber nicht vorschriftsgemäß durchgeführt, da die BaFin nur einen der drei vorgeschriebenen Jahresabschlüsse eingefordert hatte. Bisher wiesen die Gerichte Klagen gegen die BaFin aber ab. Auch die Financial Intelligence Unit (FIU) des Zolls ist ins Visier der Anwälte geraten. Sie hat wohl etliche Hinweise auf auffällige Zahlungsströme bei Wirecard gar nicht oder erst nach dem Bekanntwerden des Betrugs an Polizei und Staatsanwaltschaft weitergeleitet. Darunter soll auch eine brisante Verdachtsmeldung der Commerzbank gewesen sein.

Updates: Aktueller Stand im Wirecard-Skandal

Schon die Anfangsphase der Wirecard AG aus Aschheim bei München war etwas anrüchig: Zu Beginn wurde hauptsächlich mit der Zahlungsabwicklung („Payment“) für Anbieter von Online-Pornographie und Online-Glücksspiel Geld verdient. In den letzten Jahren machten diese Bereiche aber nur noch einen geringen Anteil am Geschäft von Wirecard aus. Die Probleme lagen zum Schluss großenteils in anderen Bereichen, insbesondere im Auslandsgeschäft, da hier wegen fehlender Banklizenzen mit externen Partnern zusammengearbeitet wurde. Dadurch wurden Defizite bei Kontrolle und Aufsicht verschärft.

Bereits Anfang 2019 und erneut im Herbst 2019 berichtete die Financial Times über Unregelmäßigkeiten in Buchführung und Bilanzierung. Angeblich sollen beispielsweise Umsätze erfunden worden sein. Insbesondere im sogenannten Third Party Acquiring, also bei Geschäften über externe Partner, soll nicht klar gewesen sein, woher angebliche Umsätze stammten. Außerdem sollen sich Manager durch überhöhte Preise für aufgekaufte Unternehmen selbst bereichert haben und Kredite sollen falsch ausgewiesen worden sein. Im Fokus standen dabei Gesellschaften in den Vereinigten Arabischen Emiraten, den Philippinen und Singapur.

Bei Übernahmen sollen teilweise parallel auch Kundenbeziehungen gekaut worden sein, die ursprünglich gar nicht zu den übernommenen Unternehmen gehörten. Teilweise soll es sich dabei sogar um Kunden gehandelt haben, die Wirecard bereits hatte. Wohin diese Kaufpreise geflossen sind, ist unklar. Die Beträge, mit denen die aufgekauften Tochterunternehmen in den Büchern von Wirecard standen, lagen aber wohl weit über ihrem Wert.

Wirecard beauftragte nach massiven Vorwürfen die Wirtschaftsprüfer von KPMG mit einer Sonderprüfung, um die Vorwürfe zu entkräften. Das KPMG-Gutachten vom 27.4.2020 konnte zwar keine Beweise für die Vorwürfe finden, sie aber auch nicht entkräften. Der Grund dafür war, dass die Buchführung von Wirecard schlicht nicht nachvollziehbar war.

Am 18.6.2020 musste die Wirecard AG einräumen, dass ihr 1,9 Mrd. € fehlen. Das entspricht etwa einem Viertel der Bilanzsumme und einem Großteil des Eigenkapitals. Das Geld sollte eigentlich auf Treuhandkonten bei philippinischen Banken liegen, die Belege dazu waren aber wohl gefälscht. Der Treuhänder Mark Tolentino war zu diesem Zeitpunkt nicht auffindbar. Wirecard musste die Vorlage ihres Jahresabschlusses daraufhin erneut verschieben. Nach dieser Bekanntmachung und in den folgenden Tagen stürzte die Wirecard-Aktie ins Bodenlose.

Am 22.6.2020 wurde der kurz zuvor zurückgetretene Vorstandsvorsitzende der Wirecard AG, Markus Braun, festgenommen. Es besteht der Verdacht auf Kursmanipulation und Bilanzfälschung.

Am 25.6.2020 wurde bekannt, dass die Wirecard AG Insolvenz angemeldet hat. Als Gründe wurden drohende Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung genannt. Letzteres deutet darauf hin, dass das Eigenkapital aufgebraucht ist. Anfang Juli 2020 berichteten verschiedene Medien, dass die Vorstände von Wirecard wohl schon seit 2012 bewusst und systematisch betrogen haben. Mit Scheingeschäften sollten Kunden und Anlegern hohe Umsätze und Gewinne vorgegaukelt werden. Der Vorstand Jan Marsalek war zu diesem Zeitpunkt bereits untergetaucht.

Am 16.7.2020 wurde bekannt, dass der damalige Vorstandschef Markus Braun zu Beginn des Jahres bei der Banktochter von Wirecard einen Kredit über 35 Mio. Euro aufgenommen hat. Der Zinssatz von 12,55% deutet darauf hin, dass Wirecard schon zu diesem Zeitpunkt die Bonität von Braun nicht als besonders gut eingeschätzt hat.

Am 17.7.2020 wurde bekannt, dass der ehemalige Chef von Cardsystems Middle East bei der Staatsanwaltschaft ein Geständnis abgelegt hat. Die Wirecard-Tochter in Dubai soll eine zentrale Rolle bei den Manipulationen gespielt haben.

Am 22.7.2020 gab die Staatsanwaltschaft bekannt, dass Haftbefehle für weitere ehemalige Führungskräfte der Wirecard AG. Inzwischen wurden auch die Vorwürfe ausgedehnt, unter anderem geht es jetzt auch um gewerbsmäßigen Bandenbetrug. Die Führungskräfte von Wirecard sollen bereits 2015 beschlossen haben, Umsatz und Gewinn künstlich aufzublähen, um sich so Kredite zu verschaffen. Dabei wird auch davon ausgegangen, dass selbst gut 3 Mrd. Euro, die Banken als Kredite an Wirecard vergeben hatten, höchstwahrscheinlich verloren sind.

Am 6.8.2020 wurde bekannt, dass Christoph Bauer auf den Philipinen für tot erklärt wurde. Als Manager von PayEasy Solutions war er eine der Schlüsselfiguren im Wirecard-Skandal.

Seit dem 11.8.2020 gerät eine weitere Bundesbehörde in den Fokus: Offenbar hat die FIU des Zolls etliche Meldungen zu Verdachtsfällen nicht oder erst nach dem Auffliegen des Wirecard-Skandals an die zuständigen Behörden weitergeleitet.

Am 17.9.2020 wurde bekannt, dass bis zu 250 Mitarbeiter Einsicht in Statistiken hatten, die die Manipulation der Geschäftsberichte von Wirecard belegt hätten.

Am 30.9.2020 berichtete die Financial Times über einen bisher geheimen Anhang zum KPMG-Bericht. Danach hatte bereits 2016 ein indischer EY-Mitarbeiter die deutschen Kollegen gewarnt, dass leitende Wirecard-Angestellte den Konzern möglicherweise beim Kauf der Zahlungsdienstleister Hermes i Tickets, GI Technology und Star Global betrogen, Umsätze und Gewinne aufgebläht und einem Wirtschaftsprüfer Bestechungsgelder angeboten haben. Die Ermittlungen von EY wurden 2018 auf Anweisung von Jan Marsalek ohne Abschlussbericht eingestellt.

Am 1.10.2020 wurde das Insolvenzverfahren gegen die Wirecard AG eröffnet. Die Gläubiger der Wirecard AG (dazu gehören auch die Geschädigten im Wirecard-Skandal) werden aufgefordert, ihre Forderungen bis zum 26.10.2020 einzureichen.

Am 20.10.2020 wurde gemeldet, dass die BaFin bereits seit Januar 2019 konkrete Hinweise auf Manipulationen im Ostasiengeschäft hatte. Dabei ging es unter anderem um „Roundtripping“, also aufgeblähte Umsatzzahlen. Die Meldungen wurden aber lediglich an die Behörden in Singapur weitergegeben.

Am 18.11.2020 fand die Gläubigerversammlung statt. Dabei war klar, dass der Verkauf von Unternehmensteilen und das Eintreiben von Forderungen nur einen Bruchteil der Schulden und Schadensersatzforderungen gegen Wirecard abdecken wird.

Am 26.11.2020 (kurz vor den ersten EY-Aussagen im Bundestags-Untersuchungsausschuss) wurde bekannt, dass die Aufsichtsbehörde für Wirtschaftsprüfer (APAS) die Staatsanwaltschaft München eingeschaltet hat. Offenbar gibt es einen Verdacht auf Straftaten von EY-Mitarbeitern im Wirecard-Skandal. Wenn EY vorsätzliche Straftaten nachgewiesen werden können, entfällt auch die Haftungs-Obergrenze, denn die gilt nur für Fahrlässigkeit.

Am 7.1.2021 gab die Frankfurter Wertpapierbörse bekannt, dass der Handel mit Wirecard-Aktien an diesem Tag im Xetra-System eingestellt wird. Auf regionalen Börsen können die Anteile an der insolventen Skandal-Firma voraussichtlich noch einige Zeit gehandelt werden.

Im März 2021 wurde bekannt, dass der Insolvenzverwalter Dr. Michael Jaffé die Jahresabschlüsse von 2017 und 2018 für nichtig erklären will.

Ende April 2021 kündigte die Deutsche Schutzvereinigung für Wertpapierbesetz (DSW) zusammen mit anderen europäischen Anlegerschützern an, eine niederländische „Stichting“ gründen zu wollen. Mit diesem Konstrukt, das etwa einer Stiftung entspricht, soll insbesondere Druck auf EY aufgebaut werden. Ziel ist ein Vergleich mit dem Wirtschaftsprüfer, es droht aber auch eine Art Sammelklage.

Im Mai 2021 wurde gemeldet, dass der Insolvenzverwalter, Michael Jaffe, voraussichtlich von den Aktionären die Dividenden für die Geschäftsjahre 2017 und 2018 zurückfordern wird. Hintergrund ist, dass die Jahresabschlüsse für diese Jahre bereits falsch waren und dadurch für nichtig erklärt werden können.

Im Juni 2021 meldete sich der ehemalige Finanzvorstand Burkhard Ley zu Wort. Er wirft EY vor, das System mit Treuhandkonten selbst vorgeschlagen zu haben. Die Treuhandkonten erwiesen sich im Nachhinein als Luftbuchungen, 1,9 Mrd. € fehlten in der Bilanz. Wenn die Aussage so zutrifft, wäre das ein weiteres Indiz für die Verwicklung von EY in den Skandal. Es kann aber auch sein, dass Ley lediglich versucht, von sich selbst abzulenken.

Nach einigem Streit um die Zuständigkeit der Gerichte hat Ende Juni 2021 das OLG Stuttgart entschieden, dass auch für Klagen gegen den Wirtschaftsprüfer EY das Landgericht München I zuständig ist.

Anfang August 2021 wurde bekannt, dass einige der wahrscheinlich betrügerischen Übernahmen von EY Law juristisch begleitet wurden. Genau wie die Wirtschaftsprüfer von EY ist auch EY Law ein Teil der weltweiten Organisation von EY. Die Anwälte von EY sollen dabei mit Wirecard fast so viel Umsatz gemacht haben wie die Wirtschaftsprüfer und anderen Berater.

Im November 2021 wurde der eigentlich vertrauliche „Wambach-Bericht“ aus dem Wirecard-Untersuchungsausschuss veröffentlicht. Er wirft kein gutes Licht auf die Arbeit von EY.

Zum 15.11.2021 wurde außerdem der Handel mit Wirecard-Aktien an der Frankfurter Börse eingestellt. Wichtig für Anleger: Nur bei einem Verkauf können sie ihre Wirecard-Verluste mit Gewinnen bei anderen Aktien steuerlich verrechnen. Bei einer „Ausbuchung“ ist das dagegen beschränkt.

Im Dezember 2021 entschied das OLG München, dass das Landgericht Anlegerklagen gegen EY voreilig abgelehnt hat. Eine Wirecard-Sammelklage gegen EY wird damit wahrscheinlicher. Etwa zeitgleich wurde außerdem bekannt, dass EY bereits seit dem Frühjahr 2019 von Scheingeschäften in Asien wusste. Diese wurden nach der Aufdeckung durch andere Scheingeschäfte ersetzt.

Mitte Januar 2022 wurden Anleger-Klagen gegen die BaFin vom Landgericht Frankfurt abgelehnt.

Am 14.3.2022 wurde gegen den ehemaligen Wirecard-Chef Markus Braun Anklage erhoben. Am selben Tag beschloss das Landgericht München I, eine Wirecard-Sammelklage gegen EY nach dem KapMuG zuzulassen (Az. 3 OH 2767/22).

Am 7.4.2022 entschied das OLG Karlsruhe, dass eine Rechtsschutzversicherung die Kosten für Anleger-Klagen gegen die ehemaligen Vorstände sowie die Wirtschaftsprüfung EY decken muss (Az. 12 U 285/21).

Mitte Mai 2022 kamen Berichte auf, dass zusätzlich zu den bisher fehlenden Geldern auf Treuhand-Konten weitere 800 Mio. € in der Wirecard-Bilanz fehlen könnten.

FAQs zu Wirecard-Skandal und Sammelklage

Wer kann Schadensersatz von der Wirecard AG bekommen?
Grundsätzlich jeder, der durch die verspäteten/falschen Informationen von Wirecard einen Schaden erlitten hat. Insbesondere Anleger, die Aktien, Anleihen, Zertifikate etc. vor dem 18.6.2020 gekauft haben. Genaues erfahren Sie hier.

Sollte ich mich einer Sammelklage anschließen?
Das kommt auf Ihre persönliche Situation an, beispielsweise ob eine Rechtsschutzversicherung vorhanden ist. Am Besten fragen Sie einen Anwalt, z.B. hier.

Ist bei Wirecard eigentlich noch etwas zu holen?
Es ist zunehmend zweifelhaft, ob bei der Wirecard AG selbst noch viel zu holen sein wird. Immerhin ist das Unternehmen insolvent. Allerdings gibt es weitere mögliche Anspruchsgegner. Eine Liste finden Sie hier.

Autor

Robert hat als Diplomkaufmann und Wirtschaftsingenieur nicht nur die besten Voraussetzungen dafür, den reibungslosen Ablauf der Webseite sicherzustellen, sondern auch den perfekten Background, um vor allem komplexe Wirtschafts-Themen nutzerfreundlich und nachvollziehbar aufzubereiten. Seine Schwerpunkte liegen in den Bereichen Abgasskandal, Geldanlage, Kreditrecht, Flugrecht und Versicherung. Nach seinem Ausscheiden bei RECHTECHECK wechselte Robert zur Nürnberger Werbeagentur BESONDERS SEIN.

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