Zusammenfassung
- Nach aktuellem BGH und OLG-Urteilen bekommen Betroffene im Abgasskandal auch nach Verjährung noch Schadensersatz.
- Hintergrund ist der sogenannte „Restschadensersatz“ nach § 852 BGB.
- Die Urteile beziehen sich bisher v.a. auf Neuwagen. Gebrauchtwagen-Käufer haben aber auch eine Chance.
Der Anspruch auf Schadensersatz im Abgasskandal verjährt ab dem Zeitpunkt, zu dem man von den Manipulationen erfahren hat, innerhalb von 3 Jahren zum Jahresende. Im Allgemeinen wird davon ausgegangen, dass diese Verjährungsfrist spätestens mit der Zustellung des Rückruf-Bescheids durch das Kraftfahrtbundesamt (KBA) beginnt.
Der BGH hat nun entschieden, dass Neuwagenkäufer bis 10 Jahre nach Kauf noch Schadensersatz erhalten können, beispielsweise für Fahrzeuge mit EA 189-Motoren von VW, Audi, Seat oder Skoda. Für Modelle mit großen Audi-Motoren und bei Mercedes-Dieseln wurde noch kein Urteil gefällt. Allerdings sehen viele Juristen in § 852 BGB eine Möglichkeit, wie betroffene Kunden auch nach Eintritt der Verjährung noch Restschadensersatz bekommen können:
§ 852 BGB im Abgasskandal
§ 852 BGB besagt:
„Hat der Ersatzpflichtige durch eine unerlaubte Handlung auf Kosten des Verletzten etwas erlangt, so ist er auch nach Eintritt der Verjährung des Anspruchs […] zur Herausgabe nach den Vorschriften über die Herausgabe einer ungerechtfertigten Bereicherung verpflichtet. Dieser Anspruch verjährt in zehn Jahren von seiner Entstehung an[…]“
Dass der wissentliche Einsatz einer illegalen Abschalteinrichtung eine unerlaubte Handlung darstellt, ist inzwischen klar und zumindest für den EA 189-Motor von VW auch durch den BGH bestätigt. Vor Gericht wird allerdings noch darüber gestritten, ob und ggf. wie viel der Hersteller „auf Kosten des Verletzten […] erlangt“ hat und ob er immer noch – im Sinne der ungerechtfertigten Bereicherung – „bereichert“ ist.
Nach einem BGH-Urteil vom Februar 2022 (VIa ZR 8/21 und VIa ZR 57/21) können zumindest Neuwagen-Käufer diesen Restschadensersatz geltend machen. Mehrere Oberlandesgerichte (OLG) sahen bereits vorher eine solche Bereicherung auf Kosten des Endkunden als gegeben an, z.B. das OLG Oldenburg (u.a. Urteil vom 2.3.2021, Az. 12 U 161/20), das OLG Stuttgart (Urteil vom 9.3.2021, Az. 10 U 339/20), das OLG Koblenz (Urteil vom 31.3.2021, Az. 7 U 1602/20) oder das OLG Karlsruhe (Urteil vom 29.11.2021, Az. 13 U 163/21). Die Bereicherung bemisst sich dabei am gezahlten Kaufpreis. Der Hersteller kann davon aber folgendes abziehen:
- Die Mehrwertsteuer. Diese wird nur im Auftrag des Staates erhoben.
- Die Händlermarge. Das gilt zumindest, wenn der Kunde nicht direkt beim Hersteller kauft, sondern bei einem formal unabhängigen Vertragshändler.
Voraussetzung ist dabei, dass der Hersteller das Fahrzeug – wie üblich – erst produziert, wenn der Kunde beim Händler eine Bestellung aufgibt. Handelt es sich dagegen um ein Fahrzeug, das beim Händler bereits „auf Halde“ stand, gelten voraussichtlich die untenstehenden Ausführungen zu Gebrauchtwagen. Das kann beispielsweise bei Vorführwagen oder Tageszulassungen der Fall sein.
Der so ermittelte Wert funktioniert wie eine Obergrenze für den Schadensersatz im Abgasskandal. Liegt die Entschädigung, die dem Kunden zusteht, unter diesem Wert, ist sie in voller Höhe vor Verjährung geschützt. Liegt sie darüber, kann sie nur bis zu dem Wert durchgesetzt werden, den § 852 BGB zulässt. Im Fall einer Rückabwicklung des Kaufs dürfte in den meisten Fällen die Nutzungsentschädigung aber so hoch sein, dass der Schadensersatz in voller Höhe durchgesetzt werden kann. Das gilt erst recht, wenn der Kunde sein Auto behalten und „kleinen Schadensersatz“ bekommen will.
Allerdings sollte das kein Ansporn sein, seine Ansprüche verjähren zu lassen. Der BGH entschied nämlich auch, dass man dadurch keinen Ersatz für Finanzierungskosten oder vorgerichtliche Anwaltskosten mehr geltend machen kann.
Gut zu wissen: Schadensersatz im Abgasskandal kann man auch noch verlangen, wenn man das Auto bereits verkauft hat.
§ 852 BGB bei Gebrauchtwagen
Nach einem BGH-Urteil gibt es keinen Restschadensersatz nach § 852 BGB für Gebrauchtwagen. Hintergrund ist, dass der Hersteller bei einem Gebrauchtwagen-Kauf nicht mehr direkt auf Kosten des Käufers bereichert wird.
Allerdings gibt es noch eine weitere Möglichkeit, wie der Hersteller beim Gebrauchtwagenverkauf etwas „erlangt“ haben kann: Das ist der Fall, wenn der Gebrauchtwagen (erneut) mehr oder weniger direkt vom Hersteller gekauft wird. Das kann der Fall sein, wenn das Fahrzeug nicht bei einem freien Händler oder einem Vertragshändler gekauft wird, sondern bei einer eigenen Niederlassung des Herstellers. Ähnliches kann gelten, wenn es sich beispielsweise um einen Leasing-Rückläufer der konzerneigenen Bank handelt.
Andererseits kann der ursprüngliche Käufer noch Ansprüche gegenüber dem Hersteller haben, auch wenn er sein Auto bereits verkauft hat.