Zusammenfassung
- Obwohl die meisten VW-Dieselfahrer ihren Händler nicht mehr verklagen können, ist ein Vorgehen gegen den Hersteller oft auch im Jahr 2022 noch möglich. Ende 2021 sind nach unseren Informationen nur wenige Verjährungsfristen abgelaufen.
- Für den Widerrufsjoker bei finanzierten Autos gibt es grundsätzlich keine Verjährung.
- Auch die Ansprüche von Kunden, die die VW-Musterfeststellungsklage verpasst haben, sind nicht in jedem Fall verjährt.
Immer noch wollen viele betrogene Dieselfahrer gegen VW Klage einreichen, beispielsweise, weil ihr Auto nach dem Software-Update von VW Probleme bereitet. Das Problem dabei: Auch im Dieselskandal droht Verjährung. Bei manchen Ansprüchen aus dem Abgasskandal ist die Verjährungsfrist inzwischen (Stand 2022) sogar abgelaufen.
Wir erklären, wer noch eine Diesel-Klage einreichen kann und wie die Fristen sind. Dabei gehen wir auf folgende Fälle ein:
- Verjährung der Sachmangel-Haftung des Händlers
- Verjährung der Ansprüche wegen Betrugs oder sittenwidriger Schädigung
- Verjährung des Widerrufsrechts bei Autokrediten und Leasing
- Verjährung bei Anlegerschutzklagen wegen der VW-Aktie
- Verjährung bei anderen Herstellern
- Fristen und Verjährung in der Musterfeststellungsklage
Verjährung der Sachmangel-Haftung des Händlers
Im Gegensatz zu Verbrauchern können Autohändler die Gewährleistung im Kaufvertrag nicht ausschließen. Daher müssen auch die Händler von VW, Audi, Skoda, Seat und Porsche 2 Jahre lang für Mängel bei Neuwagen geradestehen (bei Gebrauchtwagen 1 Jahr). Das gilt ab dem Zeitpunkt der Übergabe. Im Abgasskandal hat der VW-Konzern diese Frist aber bis zum 31.12.2017 verlängert, was von vielen Händlern übernommen wurde.
Deshalb konnten viele Diesel-Fahrer auch mehrere Jahre nach dem Kauf noch gegen ihre Händler vorgehen. Die Erfolgsaussichten waren hier etwas höher als bei einer Klage gegen den Hersteller, da sich Rechtslage und Beweisführung einfacher dargestellt haben. Inzwischen sind die meisten Fälle allerdings verjährt, sodass sich der Großteil der vom VW-Abgasskandal Betroffenen nur noch an den Hersteller oder die Auto-Bank wenden kann.
Allerdings gibt es auch hier Ausnahmen: Bei einigen Modellen ist erst spät herausgekommen, dass sie vom Abgasskandal betroffen sind. So werden verbotene Abschalteinrichtungen teilweise auch bei Fahrzeugen aus der laufenden Produktion bekannt. Insbesondere setzen viele Hersteller weiter auf Thermofenster, die von vielen Gerichten als illegal eingestuft wurden. In diesem Fall können die betroffenen Diesel-Fahrer noch 2 Jahre nach der Übergabe ihren Händler wegen Sachmangels verklagen (1 Jahr bei Gebrauchtwagen). Bei Fiat geht man beispielsweise davon aus, dass Modelle aus der Produktion bis 2019 vom Abgasskandal betroffen sind, die teilweise auch danach noch als Basis für Wohnmobile gedient haben. Insbesondere wer in den vergangenen 12 Monaten von einem Händler einen vom Abgasskandal betroffenen Gebrauchtwagen gekauft hat, kann oft nachträglich eine Preisminderung durchsetzen.
Die Ansprüche gegen den Händler sind auch deshalb interessant für betroffene Kunden, weil man in vielen Fällen die Nachlieferung eines Nachfolgemodells fordern kann. Das hat der BGH im Juli 2021 klargestellt.
Verjährung der Ansprüche wegen Betrugs oder sittenwidriger Schädigung
Vom Abgasskandal betroffene Diesel-Fahrer können auch direkt gegen den Hersteller wegen Betrugs oder sittenwidriger Schädigung vorgehen. In diesem Fall gibt es oft Schadensersatz, nach einem BGH-Urteil ist eine Rückgabe des Wagens möglich. Hier beträgt die Verjährungsfrist ab Bekanntwerden 3 Jahre zum Jahresende. Dasselbe gilt übrigens, wenn der Hersteller nur wegen einer fahrlässigen Schädigung des Eigentums des Kunden verurteilt wird.
Für Modelle, bei denen der Kunde über den Abgas-Betrug bereits 2015 informiert wurde, ist diese Möglichkeit also Ende 2018 verjährt. Das gilt nach einem BGH-Urteil, obwohl die meisten Diesel-Fahrer mit einem EA 189-Motor erst frühestens 2016 „offiziell“ über den Rückruf informiert wurden und die Strafbarkeit des Verhaltens von VW-Verantwortlichen auch noch nicht abschließend geklärt ist.
Allerdings sind Anfang 2019 neue Vorwürfe bekannt geworden, nach denen auch das eingespielte Update der Motorsteuerung illegal sein soll. Demnach werden die vorhandenen Abschalteinrichtungen lediglich durch andere ersetzt, insbesondere durch unzulässige Thermofenster. Falls sich diese Vorwürfe konkretisieren, beginnt die Verjährung neu zu laufen. Auch hierzu gibt es erste verbraucherfreundliche Urteile, u.a. äußerte sich das Hanseatische Oberlandesgericht Bremen in dieser Hinsicht (Az. 2 U 9/20).
Außerdem soll VW auch beim neueren Motor EA 288 einen Dieselskandal haben. Das hat kürzlich auch der EuGH bestätigt. Hier läuft die Verjährung nach unseren Informationen noch bis mindestens Ende 2022. Bei anderen Motorvarianten (insbesondere Audi-Motoren ab 2,7 l Hubraum) wurden die Manipulationen ebenfalls erst später bekannt. Die Rückrufe erfolgten hier ab 2018, sodass bei den ersten Modellen mit Audi-Motoren die Verjährung schon Ende 2021 eintrat. Die Audi-Motoren wurden neben Audi auch bei VW und Porsche eingebaut.
Bei einem Kauf eines Autos mit EA189-Motor besteht nach einem BGH-Urteil übrigens kein Schadensersatz-Anspruch, wenn das Auto nach Herbst 2015 gekauft wurde. Auch diese Einschätzung könnte sich allerdings ändern, falls die Updates als illegal angesehen werden.
Selbst wenn der Schadensersatz-Anspruch bereits verjährt ist, können Betroffene noch 10 Jahre ab dem Entstehen des Schadens (höchstens 30 Jahre nach der „Tat“) Geld vom Hersteller verlangen. Statt auf Schadensersatz haben sie dann aber Anspruch auf Herausgabe der „ungerechtfertigten Bereicherung“, also des erzielten finanziellen Vorteils. In einem Fall vor dem OLG Oldenburg (Az. 12 U 161/20, Urteil vom 2.3.2021, nicht rechtskräftig) machte Volkswagen keine Angaben zu einer möglichen Bereicherung. Daher verurteilte das OLG Volkswagen trotz eingetretener Verjährung zu einer Rückabwicklung des Kaufs unter Anrechnung einer Nutzungsentschädigung. (Das entspricht dem Vorgehen ohne Verjährung.) Bereits im ursprünglichen ursprünglichen BGH-Urteil zu Verjährung waren die Richter auf diese Möglichkeit eingegangen, allerdings hatten die Klägeranwälte dazu gar keine Anträge gestellt. Anfang 2022 hat der BGH dann bestätigt, dass betrogene Neuwagen-Käufer auch nach der Verjährung noch „Restschadensersatz“ nach § 852 BGB fordern können. Das gilt bis zu 10 Jahre nach dem Kauf. Der BGH hat diesen Restschadensersatz im Abgasskandal allerdings für Gebrauchtwagen ausgeschlossen.
Auch wenn der Kunde keine Kenntnis von den Betrügereien hat, verjähren die Ansprüche nach 10 Jahren. In diesem Fall tritt die Verjährung auch nicht zum Jahresende, sondern taggenau 10 Jahre nach dem Kauf ein. (Bei Diesel-Gebrauchtwagen 10 Jahre nach dem Kauf durch den Kläger, nicht nach dem Kauf als Neuwagen.) Dabei kommt es auf den Abschluss des Kaufvertrags an, nicht auf die Übergabe. Problematisch dürfte das für viele Audi-Kunden sein, da etliche Audi-Modelle mit Euro-4-Norm aus den Jahren 2003 bis 2010 wohl auch illegale Abschalteinrichtungen hatten. Die meisten dieser Kunden dürften daher nur über den Widerruf der Finanzierung eine Chance auf Schadensersatz haben – oder mit einer Staatshaftungsklage, weil das KBA im Abgasskandal zu lange untätig geblieben ist.
Diese Verjährungsfristen gelten auch für andere Fahrzeughersteller. Allerdings sind die Abgasmanipulationen dort erst später bekannt geworden oder noch gar nicht offiziell festgestellt. Daher sind bei anderen Herstellern die Ansprüche meist noch nicht verjährt. (siehe unten)
Verjährung der Ansprüche aus Nichtigkeit des Vertrags
Auch wenn man vor Gericht die Nichtigkeit des Kaufvertrages feststellen lassen will, hat man 3 Jahre zum Jahresende Zeit. Daher dürften auch hier bereits manche Ansprüche verjährt sein.
Verjährung des Widerrufsrechts bei Autokrediten und Leasing
Grundsätzlich verjährt der Widerrufsjoker bei Autokrediten und Leasing nicht. Lange Zeit gingen einige Anwälte – insbesondere auf der Seite der Autobanken – davon aus, dass das Recht auf Widerruf irgendwann „verwirkt“ ist. Das Autokredit-Urteil des EuGH hat dabei jetzt Klarheit geschaffen: Das Widerrufsrecht wird nicht verwirkt.
Diese Option ist übrigens unabhängig davon, ob Ihr Fahrzeug vom Abgasskandal betroffen ist oder nicht. Das Auto muss nicht einmal einen Dieselmotor haben oder aus dem VW-Konzern stammen. Außerdem dürften hier für die Kunden die höchsten Rückzahlungen möglich sein.
Verjährung bei Anlegerschutzklagen im Abgasskandal
Auch Anleger, die aufgrund der zu späten Veröffentlichung der Abgasmanipulationen den Volkswagen-Konzern wegen Verlusten mit der VW-Aktie verklagen wollen, dürften inzwischen Pech haben. Auch diese Ansprüche sind nämlich ab Bekanntwerden nach 3 Jahren zum Jahresende verjährt – also Ende 2018.
Auch bei Anlegerschutzklagen gegen die Daimler AG gelten die gleichen Fristen. Hier haben sie aber erst Mitte 2018 begonnen, Daimler-Aktionäre konnten also bis Ende 2021 Klage einreichen.
Verjährung bei anderen Herstellern
Es gibt den Verdacht, dass auch andere Hersteller vom Abgasskandal betroffen sein könnten, beispielsweise BMW, Mercedes, PSA (Peugeot und Citroën), Fiat, General Motors, Volvo, Mitsubishi und Renault. Außerdem könnten viele Wohnmobile vom Abgasskandal betroffen sein, da sie entsprechende Fahrzeuge als Basis benutzt haben (v.a. Fiat Ducato). Das gilt insbesondere vor dem Hintergrund des EuGH-Urteils zu Thermofenstern, denn diese werden von vielen Herstellern eingesetzt. Bisher sind Volkswagen (inkl. Audi, Seat, Skoda und Porsche), Opel, BMW und Mercedes aber die einzigen Hersteller, bei denen die Abgasmanipulationen offiziell festgestellt wurden. Sollten andere Autobauer auch betroffen sein, beträgt die Verjährungsfrist:
- 2 Jahre ab Übergabe des Wagens für Ansprüche aus Sachmangel gegen den Händler (1 Jahr bei Gebrauchtwagen).
- 3 Jahre zum Jahresende ab Bekanntwerden für Ansprüche wegen Betrugs oder sittenwidriger Schädigung gegen den Hersteller. (Bei Neuwagen kaum relevant.)
- Maximal 10 Jahre nach dem Kauf.
Die Verjährungsfrist von 3 Jahren zum Jahresende ab Bekanntwerden des Abgasskandals ist aktuell (Stand: März 2022) nur bei wenigen Modellen ein Problem. Beispielsweise erfolgten die ersten Rückrufe bei Mercedes und BMW erst 2018, die Verjährung trat bei den ersten betroffenen Modellen also wohl Ende 2021 ein. Das ist auch ein Grund, warum die Verbraucherzentrale ihre Musterfeststellungsklage gegen Mercedes im Jahr 2021 eingereicht hat. Da die Klage rechtzeitig vor Beginn der Verjährung eingereicht wurde, kann man sich aber bis zum Tag der ersten Verhandlung noch in das Klageregister eintragen. Bei vielen anderen Modellen erfolgten die Rückrufe erst später oder noch gar nicht.
Auch bei anderen Autobauern ist die Verwirkung des Widerrufsjokers bei finanzierten Fahrzeugen unabhängig vom Bekanntwerden von Manipulationen (s.o.).
Frist für die Musterfeststellungsklage gegen VW
Anmeldung und Abmeldung bei der Musterfeststellungsklage gegen Volkswagen waren bis zu Beginn der mündlichen Verhandlung möglich. Damit sind An- und Abmeldung seit dem 1.10.2019 nicht mehr möglich.
Die Musterklage hatte für viele Betroffene den Vorteil, dass sie die Verjährung gehemmt hat. Inzwischen meldeten sich viele Diesel-Fahrer aber wieder ab, weil sich bei dem Musterverfahren eine lange Verfahrensdauer abzeichnete. Nach einem BGH-Urteil war ihre Verjährung trotzdem schon ab dem Zeitpunkt der Klage-Einreichung (nicht erst ab dem Zeitpunkt ihrer Eintragung ins Klageregister) gehemmt. Dasselbe dürfte für die Mercedes-Musterfeststellungsklage gelten.