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Thermofenster im Abgasskandal

19. August 2021

Nach dem Dieselskandal rund um illegale Abschalteinrichtungen beim Motor EA 189 von VW geht der Abgasskandal in eine weitere Runde: Bei vielen Autoherstellern funktioniert die Abgasreinigung nur in einem engen Temperaturbereich – dem sogenannten Thermofenster – richtig. Nachdem der Europäische Gerichtshof (EuGH) festgestellt hat, dass diese Thermofenster illegal sind, dürfte sich der Abgasskandal schnell von VW, Audi und Mercedes auf fast alle Autohersteller ausbreiten. Vielen Besitzern von betroffenen Modellen drohen dann Rückrufe und schlimmstenfalls die Stilllegung ihrer Fahrzeuge. Nur wenn weitere Bedingungen erfüllt sind, steht dann den Betroffenen eine Rückabwicklung oder Schadensersatz zu.

Was sind Thermofenster?

Die Verfahren zur Modellzulassung sehen vor, dass der Abgasausstoß unter sehr spezifischen Prüfbedingungen gemessen wird. Neben dem vorgeschriebenen Fahrzyklus gehören dazu auch die Umgebungsbedingungen wie Luftdruck und Temperatur. Die Messungen finden üblicherweise in einem Bereich zwischen 20°C und 30°C statt.

Die meisten Autohersteller scheinen davon auszugehen, dass ihre Fahrzeuge daher nur in diesem Temperaturbereich „sauber“ sein müssen und bei anderen Temperaturen auch mehr Schadstoffe ausstoßen dürfen. Das gilt v.a. für Stickoxide. Viele Fahrzeuge steuern nämlich die Abgasreinigung (bzw. die Abgasvermeidung) mithilfe von sogenannten Thermofenstern. Das bedeutet: Es gibt ein Temperaturfenster, in dem die Abgase entsprechend der gesetzlichen Vorgaben vermieden bzw. gereinigt werden. Dieses „saubere“ Thermofester reicht teilweise nur von knapp unter 20°C bis knapp über 30°C. Das bedeutet aber, dass die betroffenen Modelle in der meisten Zeit des Jahres außerhalb dieses Fensters betrieben werden – mit verringerter oder ganz abgeschalteter Abgasvermeidung. Die Durchschnittstemperatur in Deutschland beträgt – über das ganze Jahr gerechnet – nur knapp über 10°C.

Der Einsatz von Thermofenstern wird dabei mit dem Motorschutz begründet. Beispielsweise kann bei niedrigen Temperaturen im Bereich der Abgasrückführung (AGR) vermehrt Wasserdampf kondensieren und zusammen mit dem bei der Verbrennung entstehenden Ruß das AGR-Ventil verstopfen. Eine Abschaltung der Abgasreinigung zum Motorschutz ist auch gesetzlich grundsätzlich zulässig. Der Gesetzgeber hat dabei aber eher an die Anlass-Phase oder an Extremtemperaturen gedacht – beispielsweise an den Winter in Nordschweden oder den Hochsommer in der Wüste.

Rechtsanwalt Markus Klamert erklärt Thermofenster.

BGH- und EuGH-Urteile zu Thermofenstern

Aufgrund der sehr großzügigen Auslegung durch die Hersteller haben einige Oberlandesgerichte die Thermofenster bereits als illegale Abschalteinrichtung eingestuft. Diese Einschätzung teilt auch der EuGH grundsätzlich. Nach einem EuGH-Urteil sind Abschalteinrichtungen nur in extremen Ausnahmesituationen zulässig. Außerdem dürfen sie nur eingesetzt werden, um unmittelbare, plötzlich auftretende Schäden zu vermeiden, nicht zur Vermeidung von Verschleiß oder allmählichen Ablagerungen.

Der Bundesgerichtshof (BGH) hat sich selbst bisher gar nicht festgelegt, ob Thermofenster eine illegale Abschalteinrichtung darstellen. Im BGH-Urteil zu Thermofenstern stellten die Richter lediglich fest, dass ihr Einsatz allein nicht ausreicht, um einen Schadensersatzanspruch zu begründen. Hintergrund ist, dass bei Thermofenstern vergleichsweise weniger offensichtlich ist, dass es sich um illegale Abschalteinrichtungen handelt. (Als Maßstab für eine offensichtlich illegale Abschalteinrichtung verwendete der BGH die Abschalteinrichtung beim EA 189-Motor von VW. Dort funktionierte die Abgasreinigung nur, solange das Lenkrad nicht bewegt wurde.) Daher ist nicht klar, ob sich die Verantwortlichen bei den Autoherstellern bewusst dafür entschieden haben, gesetzeswidrig zu handeln. Das vorsätzlich illegale Handeln ist aber eine Voraussetzung für die „sittenwidrige Schädigung“ nach § 826 BGB und damit für einen Schadensersatzanspruch. Eine Entschädigung vom Hersteller gibt es daher nur, wenn weitere Umstände das Verhalten als besonders verwerflich erscheinen lassen. Das kann beispielsweise die Verwendung weiterer unzulässiger Abschalteinrichtungen sein oder die aktive Verschleierung der Thermofenster gegenüber den Behörden.

Mögliche Nachteile von Thermofenstern: Rückrufe und Stilllegung

Die gute Nachricht für Besitzer von Diesel-Modellen mit Thermofenstern: Bisher gab es deswegen noch keine Zwangs-Rückrufe – zumindest nicht bei Modellen, die ausschließlich Thermofenster einsetzen. Die schlechte Nachricht: Nach dem EuGH-Urteil kann das bald kommen und Thermofenster wurden von fast allen Herstellern eingesetzt. So hat die Deutsche Umwelthilfe (DUH) bereits Klage gegen das Kraftfahrtbundesamt (KBA) eingereicht. Die DUH will das KBA unter anderem zwingen, Rückrufe für BMW-Modelle mit Thermofenstern anzuordnen. Sollte die DUH mit ihrer Klage Erfolg haben, dürften Klagen zu weiteren Herstellern folgen.

Ein solcher Rückruf kann schwerwiegende Folgen für die betroffenen Autobesitzer haben. Halten sich die Hersteller streng an das EuGH-Urteil zu Thermofenstern, könnten sie – ohne Rücksicht auf Verschleiß – einfach die Temperaturbereiche mit voller Abgasrückführung ausweiten. Das dürfte dann aber schnell zur Verrußung der AGR-Ventile und so zu Motorschäden führen. Auch wenn die Hersteller bei ihren Rückrufen an anderen Stellschrauben drehen, ergeben sich möglicherweise Nachteile. So berichteten Betroffene des VW-Abgasskandals nach den Software-Updates von weniger Leistung, mehr Verbrauch, stärkerer Geräuschentwicklung und unrundem Lauf.

Ist ein Hersteller nicht willens oder in der Lage, die Thermofenster trotz angeordnetem Rückruf zu beseitigen, droht sogar die Stilllegung des Fahrzeugs. Dasselbe gilt, wenn der Kunde dem Rückruf nicht folgt.

Rückabwicklung und Schadensersatz bei Autos mit Thermofenstern

Nach einem Urteil des BGH können Besitzer eines Fahrzeugs mit illegaler Abschalteinrichtung ihr Auto an den Hersteller zurückgeben, wenn dieser sittenwidrig gehandelt hat. Bei Fahrzeugen mit Thermofenster muss der Kunde allerdings nachweisen, dass der Hersteller sich bewusst war, etwas Illegales zu tun. Verbraucherschutz-Anwälte gehen davon aus, dass dieser Beweis bei manchen Herstellern grundsätzlich möglich ist. Als Beleg können dabei beispielsweise interne Dokumente dienen, die öffentlich geworden sind. Außerdem lässt sich in einigen Fällen aus den Unterlagen zum Zulassungsverfahren herauslesen, dass die Hersteller die Funktion der Thermofenster aktiv gegenüber den Behörden verschleiert haben. So etwas tut man normalerweise nur, wenn man weiß, dass man etwas zu verbergen hat.

Darüber hinaus haben die Thermofenster allein bei einigen Herstellern noch nicht gereicht, um auf dem Prüfstand sauber zu erscheinen und gleichzeitig auf der Straße ein für die Kunden attraktives Fahrverhalten zu bieten. Daher wurden die Thermofenster in vielen Fällen mit anderen illegalen Abschalteinrichtungen kombiniert. Schon diese Häufung an Abschalteinrichtungen dürfte vielen Gerichten als Beleg für vorsätzlich gesetzwidriges Handeln ausreichen. Hinzu kommt, dass diese Abschalteinrichtungen oft deutlich klarer als illegales „Defeat Device“ zu erkennen sind. Das liegt daran, dass sie teilweise sehr genau auf die Abgastests zugeschnitten sind. So wird die „Kühlmittel-Solltemperatur-Regelung“ von Mercedes offenbar durch eine Fahrkurven-Erkennung gesteuert: Sobald mehr Gas gegeben wird als im Abgastest vorgeschrieben, wird sie deaktiviert. Daneben hat Mercedes wohl noch weitere Abschalteinrichtungen eingesetzt. Auch im Fiat-Abgasskandal ist das Thermofenster nicht das Hauptargument der Kläger. Viele Fiat-Modelle wie der Ducato und die darauf aufgebauten Wohnmobile schalten ihre Abgasrückführung spätestens nach ca. 22 Minuten ab, da Abgastests nur 20 Minuten dauern.

Grundsätzlich ist der Beweis, dass ein Autohersteller bewusst betrogen hat, nicht einfach zu führen. Daher empfiehlt es sich gerade bei Modellen mit Thermofenster, eine spezialisierte Kanzlei zu beauftragen. Die Partneranwälte von Rechtecheck bieten eine kostenlose Ersteinschätzung für vom Abgasskandal Betroffene an.

Ist die Diesel-Klage erfolgreich, können die Kunden ihren Mogel-Diesel an den Hersteller zurückgeben. Vom Kaufpreis wird lediglich eine Nutzungsentschädigung abgezogen, sodass die meisten Betrogenen mehr als den aktuellen Marktwert bekommen. In vielen OLG-Urteilen und Vergleichen bekamen die Geschädigten stattdessen einen pauschalen Schadensersatz. Üblich sind dabei ca. 15-20 % des Kaufpreises.

Ist die Gewährleistung noch nicht abgelaufen, können sich die Kläger den Vorsatz-Nachweis übrigens sparen: Nach dem EuGH-Urteil sind Thermofenster illegal, nach einer früheren Einschätzung des BGH stellen illegale Abschalteinrichtungen einen Sachmangel dar und während der Gewährleistungsfrist haftet der Händler für Sachmängel – unabhängig von Vorsatz oder Verschulden. Auch in diesem Fall sind eine Rückabwicklung des Kaufs oder eine pauschale Entschädigung möglich. In manchen Fällen kann der betroffene Kunde sogar die Nacherfüllung in Form eines sauberen Nachfolgemodells fordern – und das oft ohne oder gegen einen geringen Aufpreis. Dann bekommt man beispielsweise für seinen Golf VII einen neuen Golf VIII. Die Gewährleistungsfrist beginnt mit der Übergabe und läuft bei Neuwagen 2 Jahre, bei Gebrauchtwagen 1 Jahr.

Eine weitere Möglichkeit, den Problem-Diesel mit Thermofenster loszuwerden, bietet sich den Besitzern von finanzierten Fahrzeugen. Aufgrund von Formfehlern in den Verträgen können viele Kunden auch nachträglich noch durch einen Autokredit-Widerruf aus ihrer Autofinanzierung aussteigen.

Welche Fahrzeuge sind betroffen?

Die bisherigen Urteile zu unzulässigen Thermofenstern beziehen sich überwiegend auf Fahrzeuge, für die bereits ein offizieller Rückruf durch das Kraftfahrtbundesamt vorliegt. Das betrifft insbesondere Fahrzeuge der Marken VW, Audi, Seat und Porsche, die mit den Motoren EA 288, EA 897 oder EA 898 ausgestattet sind. Außerdem setzt auch Mercedes bei vielen Modellen auf Thermofenster, u.a. beim OM 651-Motor. Sowohl bei den Modellen von Daimler als auch bei den Fahrzeugen aus dem VW-Konzern gibt es außerdem in der Regel gleich mehrere Abschalteinrichtungen. Wir gehen daher davon aus, dass zumindest bei folgenden Modellen mit Thermofenster ein Anspruch auf Schadensersatz besteht:

Audi

Mercedes-Benz

Porsche

Seat

Škoda

VW

Fiat-Konzern

Bei Fiat gab es bisher noch keinen offiziellen Rückruf. Da Fiat aber neben dem Thermofenster vor allem auf eine sehr plumpe zeitgesteuerte Abschalteinrichtung gesetzt hat, gehen wir davon aus, dass auch für Modelle mit Diesel-Motoren von Fiat ein Anspruch auf Schadensersatz besteht. Das gilt insbesondere für folgende Marken:

Weitere Hersteller

Da das EuGH-Urteil zum Abgasskandal aus unserer Sicht nahelegt, dass der großzügige Einsatz von Thermofenstern einer illegalen Abschalteinrichtung entspricht, dürfte ein Großteil aller Diesel-Modelle vom Abgasskandal betroffen sein. Daher könnten die meisten Hersteller früher oder später zu Rückrufen gezwungen werden, beispielsweise auch Mitsubishi oder Volvo. Es gibt sogar Hinweise darauf, dass beim ursprünglichen Skandalmotor von VW die Prüfstandserkennung lediglich durch ein Thermofenster ersetzt wurde. In diesem Fall würde auch die Verjährung im Dieselskandal möglicherweise neu beginnen.

Bei Rechtecheck können Sie prüfen, ob auch Ihr Fahrzeug vom Dieselskandal betroffen ist – egal ob durch ein Thermofenster oder eine andere Methode. Die Prüfung ist kostenlos, anonym und unverbindlich. Selbst wenn Ihr Fahrzeug noch nicht offiziell betroffen ist, können Sie sich jetzt schon bei uns registrieren. Wir informieren Sie dann, sobald uns neue Informationen zu Ihrem Modell vorliegen.

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