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Abgasskandal: EuGH-Urteil zu Thermofenstern

EuGH-Urteil im Abgasskandal: Die von VW eingesetzten Thermofenster sind illegale Abschalteinrichtungen
3. Juni 2022

Zusammenfassung

  • Laut EuGH-Urteil stellen Thermofenster eine illegale Abschalteinrichtung dar.
  • Die meisten Diesel-Motoren verschiedener Hersteller setzen solche Thermofenster ein.
  • Die Besitzer betroffener Fahrzeuge haben Anspruch auf Rückabwicklung.

Alle Maßnahmen, die die Wirksamkeit der Systeme zur Vermeidung oder Reduzierung von Schadstoffen im Abgas reduzieren, sind nach einem Urteil des EuGH eine unzulässige Abschalteinrichtung (Rechtssache C‐693/18, Urteil vom 17.12.2020). Das gilt selbst dann, wenn diese Maßnahmen den Motor vor langfristigem Verschleiß oder allmählicher Verschmutzung schützen sollen. In dem Prozess ging es um einen Fall aus Frankreich gegen den VW-Konzern. In drei neueren Verfahren beschäftigt sich der EuGH konkret mit Thermofenstern (Rechtssachen C-128/20, C-134/20 und C-145/20). Zumindest nach dem Schlussantrag des Generalanwalts stellen auch Thermofenster nach EU-Recht eine illegale Abschalteinrichtung dar.

Die betreffenden Modelle setzten zur Reduzierung von Stickoxid-Emissionen unter anderem auf eine Abgasrückführung und auf den Einsatz von AdBlue. In einem bestimmten Temperaturbereich wird dabei viel Abgas in den Motor zurückgeführt und für die nicht zurückgeführten Abgase viel AdBlue eingesetzt. Dieses Thermofenster schließt insbesondere die Werte ein, bei denen Abgastests durchgeführt werden. Bei anderen Temperaturen wird insbesondere die Abgasrückführung zurückgefahren und die Diesel sind so bei den in Europa üblichen Temperaturen überwiegend in einem „dreckigen“ Modus unterwegs. Zusätzlich wurden die Systeme zur Abgasreduzierung teilweise auch nur in Höhen von unter 1.000 m über dem Meeresspiegel eingesetzt.

VW hat dieses Vorgehen mit dem Motorschutz begründet. Auch der beauftragte Gutachter kam zu dem Schluss, dass die Motoren schneller verdrecken und damit häufigere und kostspieligere Wartungsarbeiten anfallen. Mit anderen Worten: Wird die Abschalteinrichtung deaktiviert, geht der Motor schneller kaputt.

Genau wie die Generalanwältin Eleanor Sharpston folgte der EuGH dieser Argumentation nicht. Die Richter ließen das Argument „Motorschutz“ nur bei unmittelbar bevorstehenden, plötzlichen Schäden gelten. Das dürfte bei Thermofenstern nicht der Fall sein.

Auch in den neueren Verfahren hat sich bereits der Generalanwalt Athanasios Rantos gegen den Einsatz von Thermofenstern ausgesprochen. Ein Auto, das bei in Europa üblichen Temperaturen entweder kaputt geht oder zu viele Schadstoffe ausstößt, ist schlicht schlecht konstruiert.

In einem weiteren Verfahren (C-100/21) geht Generalanwalt Athanasios Rantos sogar noch einen Schritt weiter: Er geht nicht nur davon aus, dass Thermofenster eine illegale Abschalteinrichtung darstellen, sondern sieht auch eine Pflicht der Autohersteller, Schadensersatz zu leisten. Dabei kommt es nach seiner Ansicht nicht darauf an, ob das Unternehmen vorsätzlich oder fahrlässig gehandelt hat. Das geht deutlich über die bisherige Rechtsprechung des BGH hinaus. In dem Verfahren ging es um ein Modell von Mercedes.

Folgen der EuGH-Urteile zu Thermofenstern

Die EuGH-Urteile zu Thermofenstern im Abgasskandal gelten direkt nur für die beteiligten Parteien, sie dürften aber weitgehende Folgen haben:

  • Nach unseren Erkenntnissen setzt insbesondere der aktuelle VW-Dieselmotor EA 288 auf Thermofenster. Damit sind auch relativ neue Modelle von VW, Audi, Seat und Skoda betroffen.
  • Es gibt Hinweise darauf, dass das Software-Update bei den alten EA 189-Motoren von VW die Prüfstandserkennung lediglich durch ein Thermofenster ersetzt hat. Damit beginnt auch die Verjährung neu zu laufen, weil das Update die Fahrzeuge nur in einen anderen illegalen Zustand versetzt hat.
  • Thermofenster werden nicht nur von VW eingesetzt. Auch Mercedes-Benz, Volvo, Mitsubishi und andere stehen im Verdacht, auf diese Weise ihre Abgaswerte zu schönen. Markus Klamert, einer der führenden Anwälte im Abgasskandal, antwortete auf die Frage, welche Hersteller illegale Thermofenster einsetzen: „Wahrscheinlich alle!“
  • Wenn Thermofenster eine illegale Abschalteinrichtung darstellen, dann müssen die Zulassungsbehörden (KBA in Deutschland) voraussichtlich einen Rückruf anordnen.

Bei den betroffenen Motoren ist fraglich, ob die Hersteller die illegale Abschalteinrichtung einfach durch ein Software-Update deaktivieren können. Denn nach den eigenen Aussagen der Hersteller (die durch das Gutachten im Prozess bestätigt wurden) wird ohne die Abschalteinrichtung der Motor geschädigt. Damit drohen den betroffenen Fahrzeug-Besitzern Motorschäden, beispielsweise defekte AGR-Ventile.

Leider reicht dem BGH ein Thermofenster alleine nicht aus, um vom Hersteller eine Entschädigung oder Rückabwicklung wegen „sittenwidriger Schädigung“ zu bekommen. Betroffene Diesel-Fahrer haben aber dennoch in vielen Fällen Optionen, ihr Fahrzeug loszuwerden:

  • Teilweise haben die Hersteller nicht nur Thermofenster eingesetzt, sondern auch Methoden, die auf den ersten Blick als illegal erkennbar sein mussten. Dann ist auch eine Rückabwicklung wegen sittenwidriger Schädigung möglich.
  • Viele betroffene Fahrzeuge haben noch Gewährleistung. Dann kann man gegenüber dem Händler einen Sachmangel geltend machen. Dabei kann man u.a. eine Rückabwicklung fordern, in manchen Fällen sogar die Nachlieferung eines sauberen Nachfolgemodells.
  • Wurde das Auto finanziert, kann man es in vielen Fällen auch nach Jahren über einen Autokredit-Widerruf loswerden. Das gilt grundsätzlich auch für Leasing.

Weiteres EuGH-Urteil im Abgasskandal: internationale Zuständigkeit

Grundsätzlich kann man in der EU ein Unternehmen an seinem Sitz verklagen. Bei VW wäre das in der Regel beim Landgericht Braunschweig, bei Mercedes und Porsche in Stuttgart, bei Audi in Ingolstadt, bei BMW in München, bei Opel beim Landgericht Darmstadt und bei Fiat in Turin.

Der EuGH musste am 9.7.2020 darüber entscheiden, ob im Abgasskandal Bürger aus anderen EU-Staaten die Hersteller auch in ihrer Heimat verklagen können (Rechtssache C 343/19). Die Vorlage stammte von einem Gericht im österreichischen Klagenfurt. Die EuGH-Richter bestätigten in ihrem Urteil, dass Verbraucher bei deliktischer Haftung auch an ihrem Wohnort klagen können.

Damit können sich die vom Diesel-Skandal betroffenen Kunden aussuchen, wo sie Klage einreichen wollen. Bei der Wahl sollten sie aber nicht nur auf Bequemlichkeit achten, sondern auch in Betracht ziehen, wo die Rechtsprechung besonders verbraucherfreundlich ist. Gerade in Deutschland hat der BGH bereits für sehr viel Klarheit gesorgt.

Quellen:

Autor

Robert hat als Diplomkaufmann und Wirtschaftsingenieur nicht nur die besten Voraussetzungen dafür, den reibungslosen Ablauf der Webseite sicherzustellen, sondern auch den perfekten Background, um vor allem komplexe Wirtschafts-Themen nutzerfreundlich und nachvollziehbar aufzubereiten. Seine Schwerpunkte liegen in den Bereichen Abgasskandal, Geldanlage, Kreditrecht, Flugrecht und Versicherung. Nach seinem Ausscheiden bei RECHTECHECK wechselte Robert zur Nürnberger Werbeagentur BESONDERS SEIN.

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