Beim Thema Abgasskandal denken Autokäufer sofort an Dieselmotoren. Nach den Skandalen um VW, Audi, Porsche und Mercedes kommen immer mehr Fahrzeuge unterschiedlicher Hersteller ans Licht, bei denen mittels illegaler Abschalteinrichtungen die Abgaswerte geschönt wurden. Nun tauchen immer mehr Unregelmäßigkeiten bei Autos auf, welche bisher noch nicht beleuchtet wurden: Fahrzeuge mit Otto-Motoren, also Benziner. Auch wenn dieser Bereich des Abgasskandals nicht stark von den Medien öffentlichkeitswirksam dargestellt wurde, ist bereits einiges passiert. Der Anfang des Benzin-Skandals, welcher auf Dauer wahrscheinlich ähnliche Ausmaße wie der Diesel-Skandal annehmen wird, fühlt sich wie ein Déjà-Vu an: Auffälligkeiten zeigen bisher v.a. Fahrzeuge von Volkswagen, Audi und Porsche. Zusätzlich wurden bereits Strafen gegen den Automobilzulieferer ZF Friedrichshafen verhängt. Im Benziner-Abgasskandal von Opel sind bisher nur wenige Fahrzeuge betroffen. Auch bei PSA gab es bereits erste Rückrufe. Rechtecheck hat zusammengetragen, was über den Benziner-Abgsskandal bereits bekannt ist.
Audi im Benzin-Abgasskandal
In Folge eines Gerichtsprozesses am Landgericht in Offenburg hat ein Gutachter eine Abschaltvorrichtung am Audi Q5 entdeckt. Die Besonderheit hierbei: Es handelt sich um ein Auto mit Ottomotor (Benziner), genau gesagt um einen Audi Q5 TFSI 2.0 aus dem Jahre 2015 mit der Abgasnorm Euro 6. Die verwendeten Abschalteinrichtungen sind bereits aus dem Diesel-Abgasskandal bekannt: Unter bestimmten Randparametern läuft der Antriebsstrang in einem besonderen Modus, so dass die Grenzwerte während der Tests der Zulassungsbehörden eingehalten werden. In diesem Fall werden die genannten Randparameter über den Lenkwinkel definiert. Wird während der Fahrt das Lenkrad nicht bzw. kaum bewegt, wie es auf den Prüfständen der Zulassungsbehörden der Fall ist, wird die Abschaltvorrichtung deaktiviert. Das heißt: Das Fahrzeug stößt weniger schädliche Abgase aus. Wird das Lenkrad jedoch stärker und öfters bewegt, so wie es unter realen Bedingungen im Straßenverkehr der Fall ist, wird die Abschalteinrichtung aktiviert und das Fahrzeug erzeugt mehr gefährliche Abgase wie z.B. Stickoxide.
Der Motor des entsprechenden Fahrzeugs (EA888 TFSI 2.0 mit Abgasnorm 6) wird ebenfalls in weiteren Fahrzeugmodellen des gesamten VW-Konzerns verbaut:
- Audi A1
- Audi A3
- Audi A4
- Audi A5
- Audi A6
- Audi A7
- Audi A8
- Audi Q3
- Audi Q5
- Audi Q7
- Seat Alhambra II
- Seat Altea
- Seat Ateca
- Seat Leon III
- Skoda Karoq
- Skoda Kodiaq
- Skoda Octavia III
- Skoda Superb III
- VW Arteon
- VW Beetle
- VW Golf VII
- VW Passat B8
- VW Sharan II
- VW T-Roc
- VW Tiguan II
VW-interne Dokumente, welche dem SWR vorliegen, zeigen, dass das Automatikgetriebe AL551 des Automobilzulieferers ZF hierbei eine entscheidende Rolle spielt. Hierdurch können langfristig noch weitere Fahrzeugmodelle ans Licht kommen, die ebenfalls eine entsprechend unzulässige Abschaltvorrichtung verbaut haben.
ZF Friedrichshafen im Benzin-Abgasskandal
Ein weiteres Indiz dafür, dass deutlich mehr Fahrzeuge in den Benzin-Skandal verwickelt sein könnten als bisher angenommen, sind die Vorkommnisse um ZF Friedrichshafen. Nach Bekanntwerden der Unregelmäßigkeiten beim Audi Q5 mit AL551 Automatikgetriebe von ZF hat die Stuttgarter Staatsanwaltschaft gegen den schwäbischen Getriebebauer aus Friedrichshafen ermittelt. Jedoch wurden diese Ermittlungen nach einer Zahlung von 42,5 Millionen Euro eingestellt. Trotzdem wird gegen einzelne Mitarbeiter des Unternehmens weiter ermittelt.
Da ZF nur die Getriebe und weder den gesamten Antriebsstrang noch Motoren an den VW-Konzern liefert, konnte bei diesem Verfahren keine direkte Beteiligung nachgewiesen werden. Jedoch wird dem Automobilzulieferer zur Last gelegt, die Getriebe nicht ausreichend vor einem missbräuchlichen Einsatz geschützt zu haben. Dies bedeutet eine Verletzung der Aufsichtspflicht. Welche Getriebe insgesamt betroffen sind ist aktuell undurchsichtig. Sicher kann man nur sagen, dass Antriebsstränge mit entsprechenden ZF-Getrieben in Audi-Benzinern und Dieselmodellen verbaut sind. Da die unter Verdacht stehenden AL951- und AL551-Getriebe auch bei Hubraumstarken Fahrzeugen mit 4,2 und 3-Litermaschinen verbaut werden, kann der Benziner-Abgasskandal noch deutlich weitere Kreise ziehen. Besonders ärgerlich hierbei für den Kunden: Es handelt sich vor allem um Fahrzeuge der Oberklasse und Sportwagen, die besonders teuer in der Anschaffung sind.
Volkswagen im Benzin-Abgasskandal
Volkswagen scheint im Bereich der benzinmotorbetriebenen Fahrzeuge auf breiter Front geschummelt zu haben. Neben den Fahrzeugen, die durch die Auffälligkeiten bei der Untersuchung beim Audi Q5 TFSI 2.0 ans Licht gekommen sind und die Verwicklungen von Fahrzeugen mit Getrieben von ZF, wurde auch bei den absatzstarken Modellen T5 und T6 nachweislich die Abgasreinigung für Prüfstandsfahrten manipuliert. Sobald der Testfahrer eine Kombination aus Warnblinker und fünfmaligem Durchdrücken des Gaspedals durchführt, erkennt das Fahrzeug den Prüfmodus. Ohne diese Kombination greift der Abschaltmechanismus und der Bulli stößt mehr schädliche Abgase aus. Dass dies eine vorsätzliche Täuschung und keinen Motorschutz o.Ä. darstellt, ist in diesem Fall sehr deutlich.
Zusätzlich veröffentlichte das Kraftfahrtbundesamt bereits am 24.01.2020 einen verpflichtenden Rückruf (37L8) für die Bulli-Modelle T5 und T6 der Abgasnorm Euro 5. Berücksichtigt wurden hierbei die Baujahre 2009-2016, wobei es sich weltweit um circa 30.000 Fahrzeuge handeln soll. Während des durch den Rückruf erforderlichen Werkstattaufenthalts soll mittels Neuprogrammierung eine sogenannte Konformitätsabweichung entfernt werden. Diese Abweichung führt zu einer Überschreitung der Grenzwerte für Stickoxide (NOx). Mit einfachen Worten: Die betroffenen Fahrzeuge stoßen zu viele schädliche Abgase aus und müssen vom Hersteller nachgearbeitet werden. So wie im Diesel-Skandal auch, haben geschädigte Kunden hier ebenfalls ein Recht auf Schadensersatz.
Porsche im Benzin-Abgasskandal
Nachdem bei VW und Audi eine Ausweitung des Abgasskandals Richtung benzinbetriebener Fahrzeuge nachgewiesen werden konnte, durfte der dritte große Autobauer im Volkswagenkonzern natürlich nicht fehlen: der Luxussportwagenhersteller Porsche. Dieser hat selbst herausgefunden, dass diverse Fahrzeuge mehr CO2 produzieren als offiziell angegeben und hat sich beim Kraftfahrtbundesamt selbst angezeigt. Nichtsdestotrotz droht bereits die nächste Klagewelle. In den USA wird im Benziner-Abgasskandal eine Sammelklage gegen den Autobauer aus Zuffenhausen vorbereitet und auch hierzulande werden Kunden ihr Recht auf Entschädigung einklagen wollen. Immerhin haben die betroffenen Porsche einen höheren Verbrauch. Die Staatsanwaltschaft Stuttgart und das KBA ermitteln bereits.
Bekannt ist zu diesem Zeitpunkt, dass bei Testfahrzeuge die Getriebe mit anderen Zahnradpaaren ausgestattet worden sind als bei der Serienproduktion. Das heißt: Die Fahrzeuge hatten einen geringeren Verbrauch und besser Abgaswerte, waren jedoch weniger agil, dynamisch und damit sportlich. Die Serienfahrzeuge, die an die Kunden ausgeliefert wurden, haben jedoch die ursprünglich konstruierten Zahnradpaarungen verbaut. Hiermit war die Agilität und der Fahrspaß gegeben, genauso wie höherer Verbrauch und schlechtere Abgaswerte. Vom Benziner-Abgasskandal betroffen sind nach aktuellem Stand die Modelle 911, Boxster, Panamera und Cayenne der Baujahre 2007-2017. Da wir jedoch erst am Anfang des Benzin-Skandals stehen, kann diese Liste noch länger werden.
PSA im Benziner-Abgasskandal
Auch beim PSA-Konzern scheint es einen Benziner-Abgasskandal zu geben. Zu dem Konzern, der inzwischen mit Fiat Teil von Stellantis ist, gehören die Marken Peugeot, Citroen, DS und Opel.
Opel war dabei der erste Anbieter, bei dem das KBA im Benziner-Abgasskandal einen Rückruf wegen Überschreitung der Euro 6 d temp-Grenzwerte für Stickoxide angeordnet hat. Dabei ging es um folgende Modelle:
- Opel Corsa 1.2 der Modelljahre 2018 und 2019
- Opel Corsa 1.4 der Modelljahre 2018 und 2019
- Opel Adam 1.2 der Modelljahre 2018 und 2019
- Opel Adam 1.4 der Modelljahre 2018 und 2019
Auch für Peugeot, Citroën und DS gab es 2020 erste Rückrufe im Benziner-Abgasskandal. Betroffen waren dabei folgende Modelle aus den Jahren 2017 bis 2019:
- Peugeot 208
- Peugeot 301
- Peugeot 2008
- Citroën C3
- Citroën C3 Aircross
- Citroën C-Elysee
- Citroën C3 Picasso
- Citroën C4
- Citroën C4 Picasso
- DS3
- DS4
- DS5
Schadensersatz im Benziner-Abgasskandal
Bei Diesel-Modellen gibt es bereits ein BGH-Urteil, nach dem eine illegale Abschalteinrichtung eine sittenwidrige Schädigung des Kunden darstellt. Daher dürften auch die vom Benziner-Abgasskandal betroffenen Käufer einen Anspruch auf Entschädigung oder Rückabwicklung haben. Bei der Rückabwicklung gibt der Kunde sein Fahrzeug an den Hersteller zurück. Dafür erhält er den Kaufpreis abzüglich einer Nutzungsentschädigung, die von den gefahrenen Kilometern abhängt. Da Benziner oft weniger gefahren werden als Diesel-Modelle dürfte sich die Rückabwicklung im Benziner-Abgasskandal sogar noch mehr lohnen.
Unsere Rechts-Redaktion setzt sich intensiv mit verbraucherrelevanten Rechtsthemen auseinander und bereitet sie in enger Zusammenarbeit mit Rechtsanwälten und Experten so auf, dass man sie auch ohne Staatsexamen versteht. Bei uns finden Sie Ratgeber-Artikel zu Rechtsgebieten wie Scheidungsrecht, Arbeitsrecht, Medizinrecht, dem Abgassskandal oder diversen Geldanlage-Themen.
Markus Klamert ist Inhaber der Kanzlei Klamert & Partner aus München. Als Anwalt ist er Spezialist für Wirtschaftsrecht, Kapitalanlagerecht und Stiftungsrecht. Zusammen mit Rechtecheck hat er bereits tausenden Verbrauchern im Dieselskandal und beim Autokredit-Widerruf geholfen.