Das Krankenhaus ist für viele Menschen ein Ort, den man in seinem Leben nicht allzu häufig besuchen möchte. Lange Wartezeiten aufgrund von nicht ausreichendem oder unzulänglich eingearbeitetem Personal, Infektionsgefahr wegen mangelhafter Hygiene, keine Ablaufplanung für Notfälle, schlecht koordinierte Arbeitszeitpläne des Pflegepersonals oder funktionsuntüchtige Geräte bilden die Grundlage für vielerlei Gruselgeschichten aus dem Freundes- und Bekanntenkreis, die die Furcht vor dem Krankenhaus schon einmal anschüren können. Wenn sich der Krankenhausaufenthalt aber z.B. aufgrund einer notwendigen Operation nicht vermeiden lässt, hofft man natürlich auf das Beste.
Sollten jedoch keine reibungslosen (und komplikationsfreien) Abläufe im Krankenhaus stattfinden, spricht man im deutschen Recht von einem Organisationsfehler bzw. Organisationsversagen. Dieses Organisationsversagen bildet dann die Ursache für Aufklärungsfehler und Behandlungsfehler, die zu immensen körperlichen Schäden führen können.
Im Folgenden zeigen wir Ihnen die häufigsten Organisationsfehler auf und wie Sie gegen das Organisationsverschulden des Krankenhauses vorgehen können.
Die häufigsten Formen von Organisationsfehlern
Die Krankenhausträger müssen durch geeignete organisatorische Maßnahmen für eine ausreichende Qualitätssicherung sorgen. Daraus ergeben sich Organisationspflichten sowohl für das Personal, z.B. bei der Beaufsichtigung und Überwachung durch Ärzte und das Pflegepersonal, als auch für die Einrichtung selbst z.B. durch die korrekte Funktionsweise der Apparate und die reibungslose Organisation des Operationsbetriebes. Eine mangelhafte Organisation führt in der Regel zu einer unzureichenden Versorgung und letztlich zu vermeidbaren, schlimmeren Problemen. Solche Organisationsfehler können dann sogar als Ärztepfusch gesehen werden.
Für den Krankenhausträger besteht somit die Pflicht zur Sicherstellung
– des Hygienestandards,
– des apparativen Standards,
– des Standards der Geräte- und Verrichtungssicherheit,
– des personellen Ausstattungsstandards
Bitte beachten Sie auch unsere Hinweise zur Verjährung bei Behandlungsfehlern.
Organisationsfehler beim Hygienestandard
Der Arzt bzw. das Krankenhaus hat dafür Sorge zu tragen, dass die Hygienestandards eingehalten wird. Darunter fällt die Aufgabe, alle verwendeten Materialien und Gerätschaften – wie Infusionsflüssigkeiten, Desinfektionsalkohol, Kanülen, Schläuche, Patientenbetten, Defibrillatoren usw. – steril zu halten und vor Verunreinigungen zu schützen.
Der BGH sprach einer Geschädigten ein Schmerzensgeld von 25.000 € zu, weil sich bei ihr ein Spritzenabszess, der auf einer Staphylokokken-Infektion beruhte, gebildet hatte. Die behandelnde Arzthelferin litt zum betreffenden Zeitpunkt unter Heuschnupfen und verbreitete dadurch Keime. (BGH, Urteil vom 20.03.2007 – VI ZR 158/06)
Besonders bedrohlich sind folgende Probleme, die sich auf Organisationsfehler beim Hygienestandard zurückführen lassen:
Nosokomiale Infektion
Unter einer Nosokomialen Infektion – auch als Krankenhausinfektion bekannt – versteht man eine Infektion, die während des stationären Aufenthalts oder einer Behandlung in einem Krankenhaus bzw. in einer Pflegeeinrichtung auftritt. Circa 3,5% aller deutschen Patienten bekommen auf Allgemeinstationen eine Krankenhausinfektion, auf Intensivstationen sind es ungefähr 15%. Das Krankenhaus ist selbstverständlich bemüht, die Hygienevorschriften einzuhalten, jedoch besagt die Rechtsprechung auch, dass es keine absolute Keimfreiheit geben kann. Keime können jederzeit von außen in das Krankenhaus gelangen oder der Patient selbst kann derartige Keime an sich tragen und „einschleppen“.
Im Falle einer Infektion muss der Patient demzufolge nachweisen, dass die Infektion mit den Keimen erst in der Klinik erfolgte. Darüber hinaus muss nachgewiesen werden, dass das Krankenhaus die Hygienestandards nicht eingehalten hat und letztendlich noch, dass die Infektion bei Einhaltung der Hygienestandards vermeidbar gewesen wäre. Im Haftungsfall kann der Patient über seinen Anwalt neben den Behandlungsunterlagen auch die Hygienepläne bzw. Nachweise über Schulungen einholen.
Die Beweisführung bei einem Organisationsfehler ist ein sehr komplexer Prozess, weshalb Sie stets einen speziellen Fachanwalt zurate ziehen sollten.
Angemerkt sei noch: Nur knapp ein Drittel der Krankenhausinfektionen sind vermeidbar, der Rest ist aufgrund der Eigenheiten des menschlichen Körpers in der Regel unvermeidbar. Harnwegsinfektionen, Venenkatheter Sepsis, Beatmungspneumonie und postoperative Wundinfektionen sind die häufigsten Krankenhausinfektionen. Die genannten Infektionen treten demnach häufig an Stellen auf, die nicht steril sein können oder immungeschwächt sind.
MRSA („methicillinresistenter Staphylococcus aureus“)
Für gesunde Menschen sind die MRSA-Bakterien nicht schädlich. Wenn aber aufgrund einer Krankheit das Immunsystem bereits geschwächt ist, kann es zu einer Infektion durch MRSA kommen. So verwundert es nicht, dass ein Großteil der nosokomialen Infektionen von MRSA verursacht wird.
Das größte Problem beim MRSA-Keim ist, dass viele Antibiotika diesen nicht vernichten können, da er multiresistent ist. Gleichzeitig ist der Keim aber auch omnipresent, da viele Menschen ihn „mit sich rumtragen“. Dementsprechend können bei Behandlungen mit direktem Körperkontakt MRSA-Keime vom Behandelnden auf den Patienten übertragen werden, woraus sehr schwere Erkrankungen resultieren können. Die ersten Symptome zeigen sich vier bis vierzehn Tage nach der Infektion. Die Art der Symptome hängt von der hervorgerufenen Erkrankung des MRSA-Keims ab. Dies kann z.B. eine eitrige Hautinfektion (Abszesse, Furunkel) sein oder eine Lungenentzündung.
Die Ärzte und das Pflegepersonal müssen regelmäßig und gründlich die Hände desinfizieren, ihre Gegenstände desinfizieren und Einmalhandschuhe gebrauchen sowie die übrigen Hygienevorschriften streng befolgen.
Organisationsfehler beim apparativen Standard
Der Krankenhausträger ist dafür verantwortlich, dass sowohl bestimmte medizinische Apparate wie auch Medikamente und Blutkonserven zur Versorgung der Patienten in ausreichender Anzahl zur Verfügung stehen. Folglich steht der Krankenhausträger auch in der Pflicht, dass der apparative Standard frei von jeglichen Lagerungsschäden ist.
Eine Verunreinigung der Infusionslösung durch bazillus enterobacter aerogenes hatte bei einer Patientin einen septischen Schock ausgelöst. Der BGH sprach der Geschädigten eine Summe von umgerechnet rund 2500 € (ursprünglich 5000 DM) zu „sowie die Verpflichtung der Beklagten zum Ersatz des Zukunftsschadens der Klägerin“. (BGH-Urteil vom 03.11.1981 – VI ZR 119/80)
Organisationsfehler bei der Gerätesicherheit
Ärzte und Krankenhäuser müssen zusehen, dass die vorhandenen medizinischen Gerätschaften regelmäßig von speziell geschultem Personal oder dem Arzt selbst auf ihre Funktionsfähigkeit überprüft und nur von geschultem Personal bedient werden. Die Beurteilung der Funktionsfähigkeit einfacher Materialien – wie Kanülen oder Wärmflaschen – darf der Arzt auch auf Hilfspersonen übertragen (wenn er sich vorher von der charakterlichen und fachlichen Eignung der Hilfspersonen überzeugt hat).
Ein Urteil des BGH sah ein Organisationsverschulden des Chefarztes in einer Kinderklinik, da er nicht alle erdenklichen organisatorischen Vorkehrungen getroffen hatte (BGH-Urteil vom 1. Februar 1994 – Az: VI ZR 65/93). Dies führte dazu, dass eine mit heißem Wasser gefüllte Gummiwärmeflasche aufgrund eines Risses ausgelaufen ist. Der linke Fuß des frühgeborenen Kindes, das noch im Inkubator lag, wurde durch den Inhalt der Wärmeflasche verbrüht und musste später teilweise amputiert werden.
Der Arzt bzw. das Krankenhaus muss auch alle Räumlichkeiten so absichern, dass der Patient keinen Schaden – insbesondere durch Stürze – erleidet. Es ist z.B. dafür zu sorgen, dass Flure und Räume ausreichend beleuchtet sind und dass Krankenbetten mit Bettgittern sowie Toiletten und Duschen mit Haltegriffen ausgestattet sind.
Personeller Ausstattungsstandard (auch: Koordinationsfehler)
Um einen reibungslosen Betriebsablauf zu gewährleisten, muss der Arzt bzw. das Krankenhaus – mithilfe von Einsatzplänen – sicherstellen, dass zu jeder Zeit (auch in der Urlaubszeit und während des Nachtdienstes) ausreichend qualifiziertes Personal anwesend ist. Damit das Personal immer die erforderlichen fachlichen Qualifikationen besitzt, muss der Arzt bzw. das Krankenhaus seine Angestellten in regelmäßigen Abständen an Fortbildungsmaßnahmen teilnehmen lassen. Insbesondere das nicht-ärztliche Personal muss sachgerecht ausgewählt, angewiesen und überwacht werden. Darunter fällt auch, dass der Dienst- und Verantwortungsbereich klar und eindeutig geregelt und die Zusammenarbeit mit dem ärztlichen Dienst gegeben ist. In der Praxis oder im Krankenhaus müssen klare Regeln über Zuständigkeiten und Aufgabenverteilung gelten.
Auch für das ärztliche Personal besteht eine Pflicht zur Auswahlsorgfalt und Überwachung. So muss bei Anfängeroperationen immer ein Facharzt anwesend sein und es dürfen keine Operationen von übermüdeten Ärzten getätigt werden. Letzteres ist leider aufgrund der hohen wöchentlichen Arbeitsstundenzahl (60 – 70 Stunden) dennoch häufig der Fall. Der Stress und die Müdigkeit, die sich aus den langen Arbeitszeiten ergeben, gefährden die Versorgung und Betreuung der Patienten ungemein.
Ein Schmerzensgeld von umgerechnet knapp 36.000 € (ursprünglich 70.000DM) wurde einem Beschädigten zugesprochen, da ein übermüdeter Arzt zur Operation eingeteilt wurde, der infolge der Übermüdung den nervus femoralis am rechten Bein des Patienten durchtrennte (BGH NJW 1986, 776).
Sollten sich aufgrund solcher Koordinationsfehler beim Patienten Nachteile ergeben, sollte ein Fachanwalt für Medizinrecht kontaktiert werden. Der Anwalt bespricht mit dem Patienten die Geschehnisse im Krankenhaus ausführlich Schritt für Schritt, wodurch er Organisationsmängel im Krankenhaus identifizieren kann, sie beim Krankenhausträger hinterfragt und Ansprüche erfolgreich durchsetzt.
Dokumentationspflicht
Ein Organisationsfehler fällt in das voll beherrschbare Risiko des Arztes oder Krankenhausträgers. Aus diesem Grunde führt ein Organisationsfehler zu einer Beweislastumkehr zugunsten des Patienten. Diese Beweislastumkehr hat zur Folge, dass rechtlich gesehen zunächst ein Organisationsfehler, sowie das Verschulden des Arztes oder Krankenhausträgers vermutet wird. Der Arzt bzw. Krankenhausträger muss also beweisen, dass kein Fehler in der Organisation erfolgt ist bzw. er sich hinsichtlich des Organisationsfehlers entlasten kann.
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